Studie in NRW Gesamtschüler ohne Gymnasialempfehlung schaffen oft ihr Abi

Düsseldorf · Eigentlich waren sie schon früh „ausgemustert“ für den Sprung ins Gymnasium. Dennoch schaffen jedes Jahr Tausende Gesamtschüler ihr Abitur auch ohne Gymnasialempfehlung. In NRW wird eine neue Erhebung den Dauerstreit über den Wert der Empfehlungen befeuern.

 Abiturienten schreiben eine Klausur. (Archivbild)

Abiturienten schreiben eine Klausur. (Archivbild)

Foto: dpa/Armin Weigel

Etwa vier von fünf Gesamtschulabiturienten in Nordrhein-Westfalen haben 2020 einer Studie zufolge die Hochschulreife erlangt, obwohl sie keine Gymnasialempfehlung hatten. Das geht aus einer am Montag in Düsseldorf vorgestellten Erhebung von Gesamtschulverbänden hervor.

„79 Prozent der Abiturienten hatten eine andere Prognose und haben ihr Abitur entgegen den Empfehlungen erreicht“, heißt es in der Studie der Schulleitervereinigung der Gesamtschulen und der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschulen (GGG) NRW. Die Rücklaufquote von 42 Prozent aller NRW-Gesamtschulen, die zum Abitur führen, lasse repräsentative Rückschlüsse aus dieser großen Stichprobe zu, erklärte der stellvertretende Landesvorsitzende des GGG, Werner Kerski.

Eine besonders grobe Fehleinschätzung am Ende der Grundschulzeit zeige sich bei Kindern mit Migrationshintergrund und in Schulen an sozialen Brennpunkten. Nur elf Prozent der Abiturienten mit Migrationshintergrund sei am Ende der 4. Klasse eine Gymnasialeignung prognostiziert worden, berichtete Kerski.

Tatsächlich hätten aber 89 Prozent von ihnen trotz einer Empfehlung für die Haupt- oder Realschule in diesem Jahr das Abi geschafft. An Schulstandorten mit besonderen sozialen Belastungen hätten sogar über 92 Prozent der Abiturienten entgegen ihrer ursprünglichen Grundschulempfehlung die Hochschulreife erlangt.

Im Vergleich zu einer Vorgängererhebung aus dem Jahr 2009 habe sich die Ungleichheit der Bildungschancen damit weiter verschärft, bilanzierten die Gesamtschulverbände. Damals hatten demzufolge rund 70 Prozent der Abiturienten an Gesamtschulen entgegen ihrer Grundschulempfehlung das Abitur geschafft.

Die Gesamtschulvertreter sehen damit erneut belegt: „Die Grundschulempfehlungen haben keinen prognostischen Wert“ und gehörten daher abgeschafft. Gleichzeitig müsse schnellstens ein „schulscharfer Sozialindex“ eingeführt werden, um mehr Ressourcen dahin zu lenken, wo sie am dringendsten gebraucht werden, betonte der stellvertretende Landesvorsitzende der Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen Achim Fischer.

Die Verbände fordern darüber hinaus „ein Abschulungsverbot für Gymnasien und Realschulen“, das heißt schwächere Schüler sollten von diesen Schulen nicht mehr an andere Schulen verwiesen werden, sondern auf Gymnasium und Realschule bleiben. Alle Abschlüsse der Sekundarstufe I müssten künftig auch an diesen Schulformen ermöglicht werden. Der Erhebung zufolge schafften 47 Prozent der Schüler, die in der Sekundarstufe I - weit überwiegend vom Gymnasium - zur Gesamtschule wechseln mussten, dort doch noch das Abitur.

Auch die Gymnasien seien künftig im gleichen Maße an der Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen wie Inklusion und Integration zu beteiligen. Perspektivisch empfehlen die Gesamtschul-Protagonisten eine schrittweise Annäherung an „eine Schule für alle mit den Klassen 1 bis 13“.

Derzeit sei der Übergang von den Grundschulen zu den weiterführenden Schulen sozial selektiv und benachteilige besonders „Schüler aus nicht privilegierten Schichten“, bilanziert die Studie. An integrierten Schulen gelängen Förderung und Schulerfolg dagegen „in einem besonderen Maße“.

Laut amtlicher Schulstatistik besuchten im abgelaufenen Schuljahr über 326.000 Mädchen und Jungen eine der 346 Gesamtschulen in NRW. Rund 503.000 besuchten eines der 624 Gymnasien.

(chal/dpa)
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