Diskriminierung in Moers Seniorenheim lehnt junge Bewerberin ab – weil sie transgender ist

Moers · Sophie Pflüger arbeitet in einer Moerser Senioreneinrichtung zur Probe und bekommt drei Tage später eine Absage. Die Begründung des Leiters: Die Bewohner wollten sich von ihr nicht pflegen lassen. Jetzt landet der Fall vor Gericht.

 Sophie Pflüger will vor Gericht gegen ein Seniorenheim in Moers vorgehen.

Sophie Pflüger will vor Gericht gegen ein Seniorenheim in Moers vorgehen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Als Sophie Pflüger aus Duisburg die Mailbox-Nachricht abhört, kann sie es nicht fassen. Die 27-Jährige hat den Job als Pflegeassistentin in einer Moerser Senioreneinrichtung nicht bekommen – mit einer Begründung, die sie als diskriminierend empfindet: „Herr, äh, Frau Pflüger… Sie waren bei uns probearbeiten, und wir waren sehr zufrieden mit Ihnen. Unser Problem ist jetzt einfach nur, dass viele Bewohner sich von Ihnen nicht pflegen lassen möchten, wegen Ihrer Neigung“, hat der Heimleiter ihr auf die Mailbox gesprochen. Das Tondokument liegt unserer Redaktion vor.

Mit der „Neigung“, da ist Pflüger sich sicher, meint der Leiter der Senioreneinrichtung, dass sie transgender ist. Das bedeutet: Sie wurde in einem männlichen Körper geboren, identifiziert sich aber als weiblich. Mit 18 erzählte sie ihrer Familie davon, ließ ihren Namen ändern und unterzog sich vor rund fünf Jahren einer Geschlechtsangleichung. Seitdem lebt sie als Frau. Und so hat sie sich auch in der Moerser Senioreneinrichtung beworben und vorgestellt. Trotzdem sei sie vom Heimleiter zunächst als „Herr Pflüger“ angesprochen worden. Sie korrigierte ihn.

In der Nacht vom 6. auf den 7. November 2021 arbeitet sie zur Probe in einer Nachtschicht mit, hilft zwei Fachkräften dabei, den Bewohnern die Windeln zu wechseln. „Ein Klient wollte sich nicht von Männern pflegen lassen, erzählte man mir“, sagt Sophie Pflüger. Und weil einige Klienten sie als Mann wahrgenommen hätten, habe sie beim ersten Rundgang vor seinem Zimmer warten müssen. Beim zweiten Mal nicht mehr. Da sei das kein Problem mehr gewesen, so erzählt Pflüger es. Die Nacht verläuft ruhig, die Kolleginnen sind freundlich zu ihr.

Drei Tage später spricht der Heimleiter ihr die Absage auf die Mailbox. „Es hat mich wütend gemacht, dass ich den Job nicht bekommen habe, weil ich trans bin. Und dass das auch noch respektlos als ‚Neigung‘ bezeichnet wird“, sagt Pflüger. Sie könne sich auch nicht vorstellen, dass es wirklich an den Bewohnern lag: „Da war nur dieser eine Mann, bei dem ich aber hinterher doch mithelfen durfte.“

Ein Sprecher der Alloheim-Senioren-Residenzen bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion zwar, dass Sophie Pflüger in der Moerser Einrichtung probegearbeitet hat. Doch er schreibt auch: „Aufgrund geäußerter Beschwerden über diesen probeweisen Nachtdienst haben wir die Bewerberin letztlich nicht eingestellt.“ Von wem diese Beschwerden kamen, lässt er offen. In der Mailbox-Nachricht hatte der Leiter der Einrichtung noch davon gesprochen, dass er sehr zufrieden mit ihrer Leistung gewesen sei.

Sophie Pflüger wollte erst gar nichts gegen die diskriminierende Absage unternehmen: „Ich dachte, wenn die Einrichtung mich deswegen nicht einstellt, dann ist das deren Pech. Dabei ist der Personalmangel in der Pflege doch so groß.“ Sie habe geweint und sich zurückgezogen. Doch ihre Familie riet ihr dazu, sich juristisch beraten zu lassen. Schließlich habe sie einen Beweis für die Diskriminierung. Also wandte sie sich an eine Anwaltskanzlei in Mülheim. Johanna Kröber, Rechtsanwältin für Arbeitsrecht, machte ihr Hoffnung. „Es handelt sich meiner Ansicht nach um einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“, sagt sie. „Frau Pflüger kann eine Entschädigung verlangen, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert wurde.“ Mindestens drei Monatsgehälter stünden ihr zu.

Auch Jens Niehl, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Düsseldorf, räumt Sophie Pflüger vor Gericht gute Chancen ein, den Fall zu gewinnen. „Es gilt eine Beweiserleichterung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das heißt, es reicht aus, wenn man Indizien für die Diskriminierung vorweisen kann“, sagt er. Die Mailbox-Nachricht dürfte dafür ausreichen: „Wenn formal alles richtig eingeleitet wurde, müsste eine Entschädigung zugesprochen werden.“ Unklar sei nur, wie hoch die am Ende ausfalle. Das liege im Ermessen des Gerichts.

Sophie Pflüger sagt, sie habe zunächst versucht, sich außergerichtlich mit der Einrichtung zu einigen. „Die Einrichtung war aber nicht bereit, mir eine angemessene Summe zu zahlen“, sagt sie. Zunächst sei sogar abgestritten worden, dass der Leiter der Einrichtung sich diskriminierend auf der Mailbox geäußert habe – bis Johanna Kröber das Ton-Dokument an sie übermittelte.

Der Sprecher der Alloheim-Senioren-Residenzen stellt es anders dar: „Mehrere Angebote unsererseits für ein klärendes Gespräch hat die Bewerberin leider abgelehnt.“ Pflüger und ihre Anwältin haben Klage beim Arbeitsgericht in Düsseldorf eingereicht, nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht möglich gewesen sei. So erzählen sie es.

Der erste Verhandlungstag ist für den kommenden Freitag als Video-Verhandlung angesetzt. „Ich hoffe sehr, dass ich den Prozess gewinnen werde“, sagt Pflüger. Sie ist froh, dass sie sich doch gewehrt hat. Denn sie kämpfe diesen Kampf nicht für sich allein. „Ich möchte, dass in Zukunft niemand mehr so benachteiligt wird wie ich von dieser Senioreneinrichtung“, sagt sie. Mit dem Prozess möchte sie auch ein Zeichen setzen. Ein Zeichen für die Gleichberechtigung.

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