USA Von Sklaven und falschen Zähnen

Am 23. August wird weltweit an den Sklavenhandel und seine Abschaffung erinnert. Auf Mount Vernon erlebt man auch diesen unrühmlichen Teil der US-amerikanischen Geschichte. Dort befindet sich der Landsitz von George Washington.

 Mount Vernon in der Nähe der Hauptstadt Washington diente als Landsitz von George Washington, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

Mount Vernon in der Nähe der Hauptstadt Washington diente als Landsitz von George Washington, dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.

Foto: Thalia Romero

Über Mount Vernon, dem Landsitz von Georg Washington geht die Morgensonne auf. Das Anwesen des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten am nahen Potomac River ist atemberaubend: alter Baumbestand aus Eichen, sanfte Hügel, Blumenbeete und Obstplantagen. Besuchergruppen schlendern auf den fein geharkten Sandwegen, Schulklassen nerven ihre Lehrerinnen.

An diesem idyllischen Ort samt dreigeschossigem Herrenhaus mit 21 Zimmern im Kolonialstil lebte einer der Gründerväter der USA mit seiner Familie. Und gleich nebenan mussten für Washington mehr als 300 verklavte Menschen Zwangsarbeit leisten.

Da ist zum Beispiel das Gewächshaus mit riesiger Fensterfront. Washington hatte ein solch modernes Treibhaus in Baltimore gesehen und sich die Pläne dafür schicken lassen. Draußen blühen Gladiolen, Rembrandt-Tulpen, Brombeerlilien und Schmetterlingskraut, drinnen ist es warm genug für leuchtenden Oleander, Bananen- und Limonen und sogar für Kaffee-Pflanzen. Rechts und links direkt daneben lebten in zwei engen Behausungen etwa 60 Sklaven – Männer und Frauen getrennt – ohne jegliche Privatsphäre. Man müsse sich das irreale Nebeneinander vergegenwärtigen, sagt Matt Briney: „Dort ist das Gewächshaus, wo George Washington mit Tropenpflanzen experimentierte. Und eine Wand entfernt waren versklavte Menschen untergebracht, deren Kinder auf dem Boden schliefen.“ Briney arbeitet als Vizepräsident für die „Mount Vernon Ladies’ ­Association“, die Eigentümerin der Gedenkstätte mit fast 400 Angestellten.

 In diesen Behausungen lebten auf dem Landsitz Mount Vernon die Sklaven, die für die Familie Washington arbeiten mussten.

In diesen Behausungen lebten auf dem Landsitz Mount Vernon die Sklaven, die für die Familie Washington arbeiten mussten.

Foto: Michael Marek

Seit 1860 ist diese nationale Pilgerstätte in Privatbesitz und wird nicht – wie sonst bei national bedeutsamen Kulturdenkmälern in den USA üblich – vom staatlichen National Park Service geführt.

Jährlich pilgern eine Million Menschen zu diesem nationalen Heiligtum, das nur 20 Kilometer südwestlich von Washington DC im Bundesstaat Virginia liegt. Ein riesiges Gelände: Auf 200 Hektar, das entspricht etwa 280 Fußballfeldern, sind neben dem Gutshaus auch Stallungen zu besichtigen, Parks und Gärten, eine Whiskeydestillerie, ein Fischereibetrieb und Werkstätten. Erst in den 1990er-Jahren wurden die einfachen Sklavenbehausungen restauriert und für die Öffentlichkeit freigegeben.

„Das Anwesen war nicht nur repräsentativer Wohnsitz des Präsidenten, sondern auch eine florierende Plantage“, erklärt Briney. Und die konnte nur mit einer Heerschar von versklavten Menschen am Laufen gehalten werden. Die leisteten körperlich schwere Arbeit, um einen so großen Betrieb wie Mount Vernon am Laufen zu halten. Sie schufteten bis zur 14 Stunden am Tag auf den Feldern, trieben das Vieh zusammen, kochten und putzten für die Hausherren, und mussten harte körperliche Strafen erwarten, wenn sie sich wehrten.

Wer sich Zeit nimmt, und nach der Besichtigung des Herrenhauses den Sandweg in Richtung Potomac geht, kommt an zwei sehr unterschiedlichen Grabstätten vorbei. Im Wald nahe des Flusslaufes befindet sich das mit Marmor geschmückte Familiengrab von George Washington und seiner Frau Martha. Ein Sternenbanner und die persönliche Flagge des Generals Washington flattern im Sonnenlicht. 200 Meter davon entfernt: ein weiteres Grab. Bis 1860 wurden hier mehrere Hundert afroamerikanische Frauen und Männer anonym beigesetzt. Zarte Markierungen aus Zweigen zeigen Spuren von Gräbern am Boden. Das alles war bis 1983 ungepflegt, von Gestrüpp überwuchert und für Besucher nicht erkennbar. Einst verborgener Schandfleck der Sklaverei, heute ein Ort des stillen Gedenkens. Erst 200 Jahre nach Washingtons Tod wurden hier auf Drängen der afroamerikanischen Gemeinschaft die Spuren auf den Gräbern gesichert und ein massiver Gedenkstein aus Sandstein errichtet.

Zentrum des riesigen Freilichtmuseums ist das dreigeschossige Herrenhaus mit 21 Zimmern im Kolonialstil. 1754 pachtete der ehrgeizige Landvermesser und Autodidakt ­George Washington das Anwesen, bevor er es Jahre später kaufte. Der spätere US-Präsident erweiterte es schließlich zu einem repräsentativen Landsitz. „Washington sah sich selbst in erster Linie als Landwirt“, erklärt Briney. „Er war überzeugt, dass die US-amerikanische Landwirtschaft die beste der Welt sein könnte; dafür testete er neue landwirtschaftliche Methoden.“

In kleinen Gruppen können auch die mit Originalmöbeln dekorierten Räumlichkeiten des Wohnhauses besichtigt werden – ausgestattet mit zahlreichen Porzellanservices, Kunstgegenständen, aber auch Büchern und geodätischen Instrumenten. Vorbild für die Inneneinrichtung waren europäische Schlösser.

Im Flur ist auf Kopfhöhe ein berühmtes Geschenk aus Frankreich ausgestellt: Der französische Revolutionär, Mitstreiter im US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der 35 Jahre jüngere Marquis de Lafayette, schickte es 1790 an seinen väterlichen Freund: den massiven, fast einen Meter großen Schlüssel der Bastille aus Paris – verhasstes Symbol der Unterdrückung für die Französische Revolution. Die Bastille wurde kurz nach ihrer Erstürmung bis auf die Grundmauern abgetragen, der Schlüssel aber hat in ­Washingtons Hausflur überlebt.

 George Washington hatte schlechte Zähne. Sein Gebiss ist bei den Besuchern von Mount Vernon besonders beliebt.

George Washington hatte schlechte Zähne. Sein Gebiss ist bei den Besuchern von Mount Vernon besonders beliebt.

Foto: Michael Marek

Bis heute ein Renner bei den Besuchern: George Washingtons Gebiss. Der ruhmreiche General im Unabhängigkeitskrieg und Mitautor der Verfassung hatte schlechte Zähne. Die ersten verlor er als 24-Jähriger, vermutlich als Folge einer Krankheit. Also mussten Zahnprothesen her. George Washington gab mehrere in Auftrag. Als Rohmaterial dienten neben Elfenbein, Pferde- und Kuhzähnen auch echte Menschenzähne. Deren Lieferanten waren nicht nur Verstorbene, sondern – wie die detaillierten Haushaltungsbücher Washingtons zeigen – auch versklavte Menschen.

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