Besuch im größten Nationalpark der Erde

Mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkilometern umfasst er die Küste im Nordosten Grönlands und weite Teile des Inlandeises - Menschen leben dort keine.

 Der Gully-Gletscher liegt am Ende des spektakulären Alpefjords. Die Berge ringsum sind bis zu 2700 Meter hoch.

Der Gully-Gletscher liegt am Ende des spektakulären Alpefjords. Die Berge ringsum sind bis zu 2700 Meter hoch.

Foto: Ulrich Willenberg

Dies hätte sich der legendäre Polarforscher Fridtjof Nansen wohl nie träumen lassen: Dass sein Porträt einmal im Fahrstuhl eines luxuriösen Schiffes hängen wird, das den Namen der legendären "Fram" trägt. Jenem genial konstruierten hölzernen Segelschiff, mit dem sich Nansen 1893 vor der Küste Sibiriens einfrieren ließ. Und das erst drei Jahre später nordwestlich von Spitzbergen wieder ins offene Meer trieb. Seither steht fest: Der Nordpol liegt nicht auf Land, sondern inmitten von beweglichem Packeis.

War das Leben auf Nansen's Schiff noch mit vielen Entbehrungen verbunden, bietet die heutige Fram allen Komfort. Seit mehreren Jahren ist das Schiff in der Arktis unterwegs. Einfrieren lässt es Kapitän Ole Johan Andreassen nicht. Südlich der Treibeisgrenze nimmt er von Spitzbergen aus Kurs auf die Küste Grönlands. Ab und zu kratzt eine Eisscholle am Rumpf. Doch das vermag der Fram nichts anzuhaben, die 60 Zentimeter dickes Eis brechen kann.

Ziel der Reise ist der größte Nationalpark der Erde. Mit einer Fläche von fast einer Million Quadratkilometern umfasst er die Küste im Nordosten Grönlands und weite Teile des Inlandeises. Menschen leben dort keine, abgesehen von einigen Wissenschaftlern, Meteorologen und den Männern der legendären Sirius-Schlittenpatrouille. Es ist das Reich von Eisbären und Moschusochsen. Welche Route Kapitän Andreassen wählt, ist abhängig von den schnell wechselnden Eisverhältnissen. Häfen gibt es keine. Die Passagiere werden mit kleinen Booten in windgeschützten Buchten abgesetzt. Zuvor suchen bewaffnete Guides das Terrain ab, um sicher zu gehen, dass kein Eisbär in der Nähe ist. Wird ein Tier gesichtet, fällt die Tour flach. Bei einem Ausflug auf die Insel Shannon entdeckt Guide Birger Amundsen aber den Abdruck von Tatzen im Schnee. Und eine merkwürdige Schleifspur an einem Abhang. "Hier ist ein Bär auf dem Rücken herunter gerutscht", sagt Amundsen.

Aus der Ferne wirkt die felsige Küste des Nationalparks karg und lebensfeindlich. Doch an Land findet sich eine unglaubliche Vielfalt an Pflänzchen im Bonsaiformat. Botaniker zählten in Grönland 500 Blumengewächse, selbst Orchideen gedeihen hier. Sie wachsen in einer der extremsten Regionen der Erde mit Temperaturen von bis zu minus 50 Grad. Die viele tausend Kilometer lange Nordostküste wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts vollständig erkundet. Mehrere Männer verloren dabei ihr Leben. Einige ihrer spartanischen Unterkünfte sind bis heute erhalten und können besichtigt werden - wie die Alabamahütte auf der Insel Shannon. Hier mussten die Polarforscher Ejnar Mikkelsen und Iver Iversen in den Jahren 1910 bis 1912 überwintern, nachdem ihr Schiff "Alabama" vom Eis zerquetscht worden war. Das Winterquartier zimmerten sie aus Teilen des Schiffwracks zusammen. Um nicht durchzudrehen, schrieben sie Liebesbriefe an imaginäre Freundinnen.

Während die meisten Passagiere der Fram draußen dick eingemummelt herumlaufen, reicht Ole Richter ein leichtes Sweatshirt. Und er geht sogar baden - bei einer Wassertemperatur von knapp zwei Grad. Einige Gäste tun es ihm unter Aufsicht der Schiffsärztin aus Panama gleich. Für den Norweger ist es eine Reise auf den Spuren seines verstorbenen Großvaters Søren. Der war als junger Mann in Nordgrönland unterwegs, um Bären und Polarfüchse zu jagen.

Im Süden des Nationalparks werden die Berge immer höher. Es ist der landschaftlich spektakulärste Teil der Reise. Am elften Tag biegt die Fram in den schmalen Alpefjord, der eingerahmt wird von bis zu 2700 Meter hohen Gipfeln. Am Ende des 46 Kilometer langen Fjordes stoppt das Schiff für einige Stunden vor dem Gully-Gletscher. Beiboote kreuzen in respektvollem Abstand vor der Abbruchkante. "Kalbt" ein Gletscher, kann dies meterhohe Wellen verursachen.

Mit dem Schiff nach Grönland
8 Bilder

Mit dem Schiff nach Grönland

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Foto: dpa, Michael Juhran

Nach Tagen mit Sonnenschein und ruhiger See schlägt das Wetter um. Bei der Rückfahrt nach Island gerät die Fram in schwere See. Im Restaurant fliegen Geschirr und Speisen umher. Als das Schiff Schlagseite bekommt, schliddern Passagiere meterweit auf ihren Stühlen. "Halten sie sich an den Tischen fest", ruft ein Kellner. In der Nacht steigert sich der Sturm zu einem Orkan mit Windstärke 12. Über zehn Meter hoch türmen sich die Wellen auf. Tapfer kämpft sich die Fram stundenlang durch die aufgewühlte Dänemarkstraße.

Erst gegen Morgen legt sich der Sturm. Dem gut gelaunten Kapitän ist die anstrengender Nacht nicht anzumerken. Der Norweger ist zu beneiden. Noch nie sei er seekrank geworden, erzählt er. Den Passagieren, denen es in dieser Nacht übel wurde, bleibt der Trost: Dem Polarforscher Nansen soll es auf seiner Fram nicht besser ergangen sein.

Die Redaktion wurde von Hurtigruten zu der Reise eingeladen.

(RP)
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