Vertikale Landwirtschaft Unsere kleine Farm

Mit vertikalem Anbau kommt Gemüse aus der Stadt erntefrisch auf den Teller. Start-ups nutzen die neuen Konzepte, um Microgreens zu züchten. Ein Brutkasten für Kräuter und Salate lässt sich aber auch zu Hause in die Küchenzeile integrieren.

 Bei der vertikalen Landwirtschaft wächst Gemüse im Regal.

Bei der vertikalen Landwirtschaft wächst Gemüse im Regal.

Foto: AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

Kästen, in denen Salate, Kräuter und Gemüse zu Hause oder im Supermarkt angebaut werden, liegen im Trend. Das Berliner Unternehmen Infarm denkt sogar noch eine Kategorie kleiner: Hier hat man die vertikalen Farmen so klein konzipiert, dass sie in die Gemüseabteilung von Supermärkten passen. Die rund zwei Meter hohen Glasvitrinen sind mit LED-Licht und eigener Wasser- und Nährstoffversorgung ausgestattet – mit dem Ziel, die Wachstumsprozesse der Natur so genau wie möglich zu reproduzieren.

„Für die Steuerung der notwendigen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Bewässerung sorgt eine umfangreiche Sensorik und teil- oder vollautomatisierte Systeme. Die Bewässerung und Vergabe der Nährlösung erfolgen dabei über ein hydroponisches, also erdeloses System“, erklärt Professorin Heike Mempel. Sie ist Expertin für Indoor Farming an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf.

Bei Infarm können Mitarbeiter die Wachstumsbedingungen der Kräuter in jeder Farm über das Internet überwachen und steuern. „Gärtner" kommen nur noch in die Filiale, um das Gemüse regelmäßig zu ernten und nachzupflanzen. Das frische Erntegut wird im Markt direkt zum Verkauf angeboten. Das spart Transportkosten und ermöglicht den Anbau von frischen Pflanzen zu allen Jahreszeiten. Vor allem für Kräuter, die sonst in fernen Ländern wachsen, ist das vorteilhaft. Zur Auswahl stehen rund 600 Samen, von Thai-Basilikum bis zu peruanischer Minze. Das Sortiment soll um Tomaten, Chilis, Pilze, Erdbeeren und verschiedene Kohlsorten erweitert werden.

Allerdings ist – ob große oder kleine vertikale Farm – der hohe Energieverbrauch der Systeme ein Problem, da die intensive und notwendige Belichtung viel Strom benötigt. Das gilt auch für die kleinen High-Tech-Gemüsegärten, die es mittlerweile für den Hausgebrauch zu kaufen gibt. Das junge Unternehmen Agrilution aus München beispielsweise verkauft an Privatpersonen für knapp 3000 Euro seinen 90 Zentimeter hohen Plantcube. Dieser Brutkasten könne in eine Küchenzeile eingebaut werden; es gebe ihn aber auch als freistehendes Gerät, so Maximilian Lössl, Gründer und Geschäftsführer von Agrilution. Klimakontrolle und Beleuchtung laufen vollautomatisch. „Man muss nur eine Filzmatte, in die das Saatgut integriert worden ist, einlegen; dann übernimmt das Gerät den Wachstumsprozess. Und es gibt eine App dazu“, erklärt Lössl. Bisher gedeihen im Plantcube Kräuter, Salate und grünes Gemüse wie Spinat, Pak Choi oder Grünkohl.

Als dritte Variante des Indoor-Farmings sprießen bundesweit Start-ups wie „Keimling“ in Köln, „Stadtfarm“ in Bonn und „Stadtgreens“ in Düsseldorf. Sie alle züchten mitten in der Stadt sogenannte Microgreens. Das sind Keimlinge von frischem Gemüse, die ein Substrat zum Wurzeln und Licht zum Wachsen brauchen. Bereits wenige Tage nach der Aussaat können sie geerntet und verzehrt werden. Da die Keimlinge weniger Platz, Pflege und technologische Ausstattung benötigen, sind sie für junge Unternehmen ein guter Start in die urbane Landwirtschaft.

Auch für Konsumenten sind Microgreens interessant, denn sie enthalten 40 Mal mehr Vitalstoffe als herkömmliches Gemüse. Zudem ist der Geschmack frisch, knackig, je nach Sorte auch etwas scharf, sehr aromatisch – und etwas Besonderes. Das sind möglicherweise die ausschlaggebenden Gründe, warum sie bei gehobenen Restaurants und Sterneköchen gerade sehr beliebt sind.

Die Gründer von „Stadtgreens“ in der Landeshauptstadt, Caroline Busch und Aljoscha Dickmann, bauen Erbsen, Radieschen, Sonnenblume, Brokkoli und Weizengras in Anzuchtschalen an. Das Minigemüse aus Biosaatgut braucht eine konstante Temperatur von 20 bis 22 Grad, auch die richtige Luftfeuchtigkeit spielt eine Rolle für das Wachstum. Innerhalb von 24 Stunden nach Bestellung werden die Microgreens in Düsseldorf und in die nähere Umgebung verkauft – um maximale Frische und minimale Transportwege zu garantieren. Die Verpackungen der Greens sind außerdem biologisch abbaubar, kompostierbar und werden aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt.

Durch die Imitation natürlicher Wachstumsprozesse wachsen Microgreens in einem vertikalen Hydroponik-System. Dabei werden Boden, Licht, Luft und Wasser in Einklang gebracht. Auf diese Weise werden Lebensmittel direkt in der Stadt produziert, wo Menschen arbeiten, wohnen und leben. Pestizidfrei, klimaunabhängig und während des ganzen Jahres.

Kommt unser Gemüse denn in Zukunft aus vertikalen Farmen oder weiterhin vom Feld? Nach Ansicht von Meike Mempel, der Fachfrau für Gewächshaustechnik, wird es ein Miteinander von der ganz klassischen Landwirtschaft oder dem Gartenbau, den Gewächshäusern und dem Vertical Farming geben. Denn bei allen Vorteilen von Vertical-Farming-Methoden (höhere Ernte, weniger Wasserbrauch, kürzere Transportwege, weniger Platz zum Wachsen), gilt der Stromverbrauch für Beleuchtung und Klimatisierung der Pflanzen als größter Nachteil.

Um klimaneutral zu sein, müssten die Farmen laut Experten mit nachwachsenden Energieträgern versorgt werden, um zu einer ressourcen-verträglichen Produktion zu kommen. Viele von ihnen haben dies mit erneuerbarer Energie durch Solarpanels auf den Farmen bereits in Angriff genommen, so wie die „Farmbox“ in Wuppertal.

Egal, ob klein oder groß – die Idee hinter allen vertikalen Farmen ist im Grunde die gleiche: Sie alle wollen Lösungen aufzeigen für die Frage, wie sich die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung in Zukunft sicherstellen lässt: Hochrechnungen der Vereinten Nationen zeigen, dass 2050 etwa 9,7 Milliarden Menschen unseren Planeten bewohnen werden – also knapp zwei Milliarden mehr als jetzt. Rund sechs Milliarden davon werden den Prognosen zufolge in urbanen Ballungszentren leben. Fakt ist: Die nutzbare Fläche für die Landwirtschaft wird immer kleiner. Durch Monokulturen, Einsatz von Chemikalien, Überweidung und Versiegelung geht immer mehr fruchtbarer Boden verloren. Hinzu kommen die Folgen des Klimawandels: Wetterextreme wie Starkregen und Dürre nehmen stetig zu und führen zu immer geringeren Ernteerträgen.

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