“Warten auf Godot“ abgesagt Absurdes Theater in Groningen

Düsseldorf · In „Warten auf Godot“ dürfen nur Männer mitspielen. Das hatte Samuel Beckett so verfügt. Deshalb platzt die Aufführung des Stücks in der niederländischen Stadt.

Der irische Dramatiker Samuel Beckett schrieb „Warten auf Godot“ Ende der 40er Jahre.

Der irische Dramatiker Samuel Beckett schrieb „Warten auf Godot“ Ende der 40er Jahre.

Foto: wikipedia

Das Forum Groningen überragt wie ein gigantischer Fels die kleinteilige Struktur des historischen Zentrums der niederländischen Stadt. Seine futuristische Architektur hat dem 2019 eröffneten Gebäudekomplex, der Freizeitangebote, Arbeits- und Geschäftsräume unter einem Dach beherbergt, einen gewissen Bekanntheitsgrad über die Stadtgrenzen hinaus beschert. Weniger Beachtung fanden dagegen Veranstaltungen des dort ebenfalls untergebrachten Kulturzentrums. Bis jetzt.

Denn eine geplante Aufführung des Theaterstücks „Warten auf Godot“ des irischen Autors Samuel Beckett (1906-1989) wurde nun untersagt, weil darin laut Textbuch nur Männer mitspielen dürfen. Es gehe nicht an, dass Gruppen von Menschen bei der Auswahl der Schauspieler ausgeschlossen würden, erklärte eine Sprecherin des Zentrums der Deutschen Presse-Agentur.

Tatsächlich hatte die englischsprachige Theatergesellschaft der Groninger Universität, die das Werk im März im Kulturzentrum auf die Bühne bringen wollte, ausschließlich männliche Bewerber zum Casting für die fünf Männerrollen eingeladen – und damit dem Willen des exzentrischen Autors Rechnung getragen: Beckett, ein Meister des absurden Theaters, hatte dieses Kriterium seinerzeit unter Androhung von gerichtlichen Konsequenzen bei Zuwiderhandlung ausdrücklich so verfügt. Das aber entspreche nicht den Subventionsregeln des Kulturzentrums, wandte dessen Sprecherin ein. Auch ein Casting müsse für alle Gruppen offenstehen.

„Als ob ich in einem absurden Traum gelandet bin“, fühlt sich Regisseur Oisín Moyne. Der Tageszeitung „Dagblad van het Noorden“ sagte der 26-Jährige, er habe persönlich überhaupt nichts dagegen, dass auch Frauen Männerrollen spielten. Nur fürchte seine Theatergruppe im Fall von „Warten auf Godot“ gerichtliche Schritte durch die Stiftung, die Becketts Rechte verwaltet. „Wir sind nur eine kleine Gesellschaft, und das können wir uns nicht leisten.“

„Warten auf Godot“ wurde just vor genau 70 Jahren in Paris uraufgeführt. Es gilt als das bedeutendste Werk des Nobelpreisträgers Beckett und als eines der Pionierstücke des absurden Theaters. Der Inhalt lässt sich kurz zusammenfassen: Zwei Männer warten tagelang auf einen dritten (Godot), mit dem sie locker verabredet sind, der aber niemals erscheint. Die Figur bleibt nebulös. Beckett selbst lehnte Spekulationen darüber ab, wer Godot sein könnte oder wofür er stehe: „Hätte ich’s gewusst, hätte ich das Stück nicht geschrieben.“

Werktreue kontra Geschlechter-Gleichstellung lautet das Dilemma. Das Kulturzentrum Groningen mag als Theater relativ unbedeutend sein, die Signalwirkung ist es allerdings nicht. Dass Kunstwerke verändert oder gar verbannt werden, weil sie in der Gegenwart angeblich diskriminierend oder nicht divers genug wirken, ist an der Tagesordnung, obwohl sie aus einer ganz anderen Zeit stammen. So werden Titel von historischen Bildern umbenannt, die seit Jahrzehnten in Museen hängen. Kontrovers diskutiert wird, ob es zulässig ist, vermeintlich rassistische Textpassagen und Begriffe aus Büchern nachträglich umzuformulieren.

In Groningen gilt einstweilen: Weiter warten auf Godot.

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