Dresden Sibylle Lewitscharoff gegen künstliche Befruchtung

Dresden · An markigen Urteilen zu dieser Autoren-Rede mangelt es nicht: Schrecklich sei die Tirade, heißt es, auch menschenverachtend. Und der Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels, Robert Koall, bediente sich gar eines "Offenen Briefes", um Sibylle Lewitscharoff "gefährliche Worte" zu attestieren, da sie Stimmungsmache betreibe und "tropfenweise Gift" verabreiche.

Sibylle Lewitscharoff gegen künstliche Befruchtung
Foto: dpa

Was um Himmels Willen war geschehen? Die Büchner-Preisträgerin hat in Dresden einen Vortrag über Tod und Leben gehalten, und wer Lewitscharoff kennt, weiß, dass sie auch bei solchen Themen markante Positionen nicht scheut. Die sind nicht immer populär, weil für sie ihr Lebensschicksal "in Gottes Hand liegt und nicht in meinen Händen". Und weil sie es darum als Frevel betrachtet, wenn man glaubt, über sein Leben weitreichend verfügen zu können. Sie lehnt darum lebensverlängernde Maßnahmen um jeden Preis ab, sie fürchtet die Folgen der Präimplantationsdiagnostik, verabscheut schließlich die künstliche Befruchtung. Die 59-Jährige vertritt Ansichten vom Leben, die auch den Geist ihrer Heimat spiegeln, das pietistisch geprägte Schwabenland. So läuft sie Sturm gegen ein Bild vom Menschen, das wir unter Aufgebot medizinischer Hochleistung selbst zu gestalten glauben — als etwas Gemachtes und nicht mehr Gegebenes.

Das spricht Lewitscharoff freilich nicht von Formulierungen frei, die zwar nicht verletzend gemeint sind, aber durchaus so verstanden werden können. Dass sie künstlich gezeugte Kinder, bei denen der Mann nach ihren Worten zum Samenspender degradiert wird, "Halbwesen" und "zweifelhafte Geschöpfe" nennt, ist unverzeihlich. Auch wenn sie gleich im nächsten Satz die Kinder in Schutz nimmt und einräumt, dass ihr Abscheu in diesem Fall stärker sei als ihre Vernunft.

Manche Vergleiche bleiben dennoch indiskutabel; doch sind es die aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate, die jetzt die Kritiker wie Plakate vor sich hertragen, ebenfalls. Dazu gehört das "Onanieverbot", von dem Lewitscharoff tatsächlich spricht, aber nur mit Blick auf die peinlich erotisch aufgeladenen Klinikräume für Samenspender. Schade, dass der Text nicht anders diskutiert und manches bedacht wird — etwa ihre Einsicht, dass es der Garant für ein gelingendes Leben sein kann, nicht alles bestimmen zu wollen.

(RP)
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