Bonn Malewitsch – Pionier der Abstraktion

Bonn · Unter dem Titel "Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde" erinnert die Bundeskunsthalle Bonn an eine aufregende, folgenreiche Epoche der modernen Kunst. Die Schau umfasst mehr als 300 Leihgaben aus Ost und West.

Ob Kandinsky der erste ungegenständliche Künstler war oder Malewitsch, Mondrian oder gar die kaum bekannte schwedische Malerin Hilma af Klint, darüber mögen sich weiter die Gelehrten streiten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Aufbruch an die Grenzen der Kunst offenbar ein Gedanke, der in der Luft lag und mehrere Künstler gleichzeitig begeisterte, wohl auch unabhängig voneinander.

Oft wird das "Schwarze Quadrat" des Russen Kasimir Malewitsch (1879—1935) als das erste wahrhaft ungegenständliche Kunstwerk bezeichnet — ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, das alles und gar nichts bedeuten kann: eine äußerste Verdichtung der Welt oder ein Spiegel des Nichts. Die morgen beginnende Ausstellung "Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde" führt anhand von mehr als 300 Leihgaben vor, wie Malewitsch malend zum schwarzen Quadrat gelangte und von dort zurück zur Figürlichkeit.

Die Ausstellung war in anderer Auswahl und Inszenierung bereits vor einem halben Jahr im Amsterdamer Stedelijk Museum zu sehen und bietet im Vergleich eine Enttäuschung und eine Überraschung. Zunächst die Enttäuschung: Höhepunkt der Amsterdamer Schau war ein Saal, in dem man aufgrund einer Fotografie eine Malewitsch-Ausstellung von 1915 weitgehend nachgestellt hatte — mit originalen Werken. Über all diesen Kompositionen aus Rechtecken, Kreisen, Dreiecken und Kreuzen thronte eine späte, von 1929 stammende Version des erstmals 1915 erschaffenen "Schwarzen Quadrats". In Bonn fehlt nicht nur diese Inszenierung, sondern auch das schwarze Quadrat, das dort der Vorlage gemäß oben in einer Ecke wie eine Ikone in einem russischen Haus thronte. Als Ersatz dient in Bonn ein rotes Quadrat, besser gesagt: ein Fast-Quadrat, denn die Komposition weicht vom rechten Winkel absichtsvoll ab. Immerhin stammt dieses Werk aus dem Geburtsjahr seines schwarzen Geschwisterbilds.

Und nun die Überraschung: Weitaus besser als in Amsterdam lässt sich in Bonn verfolgen, wie Malewitsch nach dem Höhepunkt seiner avantgardistischen Phase Ende der 20er Jahre den Rückwärtsgang einlegte und zur figürlichen Malerei zurückkehrte. Tanzten in den zehner Jahren noch die geometrischen, in ihren kräftigen Farben oft an Ikonen erinnernden Figuren, so drängte sich nach 1928 das Bauernmotiv wieder vor, wie es Malewitsch bereits 1912 in seinem kubisch verfremdeten "Schnitter" verwandt hatte. Er knüpfte an den impressionistischen und neoprimitiven Stil seiner Frühzeit an und datierte dabei seine Werke mitunter zurück — vielleicht, weil er solchermaßen Lücken in einer für 1929 geplanten Werkschau schließen wollte, vielleicht aber auch, weil Arbeiten aus seiner bedeutendsten Phase sich besser verkauften.

Die Bauern und auch die Arbeiter der letzten Phase seines Schaffens sind gesichtslose Puppen. Zeugten die frühen Bauern-Bildnisse noch von des Künstlers Liebe zu diesem Berufsstand, der für ihn eng mit dem Begriff "Heimat" verbunden war, so lesen sich die späten Werke wie eine kaum verhohlene Kritik an der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Das Bauerntum war nicht der einzige Bestandteil russischen Lebens, an dem Malewitschs Herz hing. Der Mitgründer der modernen Kunst schätzte wie noch heute viele Russen die heimische Ikonenmalerei und griff auch formal darauf zurück. In der Ausstellung hängen einander gegenüber eine Szene, welche die feurige Himmelfahrt des Propheten Elias wiedergibt — ein roter, golden umrandeter Fleck mit dem Propheten in einem angedeuteten Wagen —, und als neuzeitliche Entsprechung Malewitschs verblüffend ähnlich angelegte "Himmelfahrt eines Heiligen".

In den ersten Jahren der Sowjetunion hatten die avantgardistischen Künstler noch freie Hand. Sie setzten der überlieferten, naturalistischen Kunst eine "revolutionäre" entgegen und durften für etliche Jahre mit dem Applaus, zumindest aber mit der Duldung der neuen politischen Kaste rechnen. Als um 1930 der Sozialistische Realismus zur ästhetischen Richtschnur wurde, nutzte dem Avantgardisten selbst die Rückkehr zur Figürlichkeit nicht mehr. Seine gesichtslosen Bauern waren nicht das, was den Kulturverantwortlichen des diktatorischen Staates vorschwebte. Die forderten jetzt freudig in die Zukunft blickende Arbeiter und Soldaten, junge Erbauer des Kommunismus — Szenen, die jeder auf Anhieb verstand.

Malewitsch dagegen zog sich zum Lebensende noch weiter in die Vergangenheit zurück und malte Porträts im Stil der Renaissance. Das Ende der Bonner Ausstellung hat etwas Anrührendes: Der Neuerer von einst malt kurz vor seinem Tod im Stil des längst vergangenen französischen Impressionismus seine Mutter, seine Ehefrau und seine Tochter.

1935 starb er in Leningrad an einem Krebsleiden. Erst nach der Perestroika, im Jahr 1988, bekannte sich St. Petersburg mit einer Retrospektive zu dem Mann, der nicht nur in Russland der Kunst eine neue, bis heute wirkende Richtung gegeben hatte.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort