Nostalgie-Trip ins Weiße Haus

Mit opulenten Bildern und Texten würdigt die "New York Times" die Obama-Ära.

Es ist der 14. Dezember 2012. Im Weißen Haus sitzt Barack Obama im Oval Office. Die Behörden haben ihm die Nachrichten vom Amoklauf an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut überbracht. 20 Schüler, viele von ihnen nicht älter als sechs Jahre alt, sind tot, ebenso sechs Lehrer. Peter Baker, Chefkorrespondent des Weißen Hauses für die "New York Times" lässt in seinem demnächst erscheinenden Buch "Obama. The Call of History" Redenschreiber Jon Favreau die damalige Stimmung wiedergeben: "Er saß an seinem Tisch und schaute auf das Redemanuskript, machte einige Änderungen. Er blickte kaum zu uns auf. Und seine Stimme war so voller Trauer und derart brüchig, wie ich sie nie zuvor gehört hatte." Der 44. US-Präsident wird wenig später eine sehr gute, emotionale Ansprache halten ("Unsere Herzen sind gebrochen") am, wie er später sagt, "schwärzesten Tag meiner Präsidentschaft".

Solche von Favreau geschilderten Eindrücke aus dem inneren Kreis sind es, die Bakers 320 Seiten starken Fotoband, der genauso elegant daherkommt wie der Präsident selbst, zu einem kleinen Kunstwerk machen. Wenn Obama beispielsweise im Hubschrauber "Marine One" laut darüber nachdenkt, ob er bei einer Trauerfeier für von Rassisten ermordete Schwarze das Lied "Amazing Grace" singen solle - und es später auch tut. Oder wenn er mit dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses telefoniert, als dieser von seinen Parteifreunden wegen der versuchten überparteilichen Zusammenarbeit zum Rücktritt gedrängt wurde. Obama: "Boehner, alter Kumpel, ich werde Sie vermissen." Darauf Boehner süffisant: "Das werden Sie, Mister President, das werden Sie!"

Alle wichtigen Bilder der Obama-Ära sind in dem Buch versammelt, opulent dargestellt. Ergänzt werden sie durch Titelseiten der "New York Times" und Bakers sachkundige Nachzeichnung des Weges vom Hoffnungsträger ("We can change!"), der sich als Wahlsieger inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren wiederfindet, hin zum Kriegspräsidenten, der den Friedensnobelpreis bekommt. Es ist eine unterhaltsame Tour de Force von Krise zu Krise, bei der die Privatperson Obama nicht zu kurz kommt. Baker dürfte unter enormem Zeitdruck gestanden haben, als er "The Call of History" verfasste. Schließlich hat der Porträtierte selbst einen historisch einmaligen Vertrag für das Abfassen seiner Memoiren erhalten (dotiert mit umgerechnet rund 61 Millionen Euro) und wird demnächst noch mehr Innenansichten liefern.

Den eigentlichen Reiz von "Obama - The Call of History" macht aber wohl der krasse Kontrast zum amtierenden Präsidenten aus.

(maxi)
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