Duisburg Mozarts "Figaro" – altmeisterlich

Duisburg · Mit vitalem Geist: Michael Hampe inszenierte, Axel Kober dirigierte die Premiere im Duisburger Haus der Rheinoper

Als Peter Zadek im Jahr 1983 Mozarts "Figaro" in Stuttgart inszenierte, dichtete er auch deutsche Rezitative, in denen die widerspenstige Susanna vom Grafen zum Gezirpe des Cembalos schon mal "du kleine Schlampe" gerufen wurde. Damals war Stuttgarts Publikum noch nicht so reformiert wie heute, es schien missvergnügt. Nun, Zadeks Regie lärmte zwar, doch liebte sie nicht minder – sie nahm Mozarts frivole Manöver ernst, als gestisches Abbild einer gänzlich erotischen Musik. Als wenig später Ivan Nagels hinreißendes Mozart-Buch "Autonomie und Gnade" erschien, trat damit ein Jahrzehnt gleichsam aufs Gaspedal – ein Kickstart zu den Tiefenregionen eines als Rokoko-Belustigung missverstandenen Werks.

Wenn jetzt Regie-Altmeister Michael Hampe an Duisburgs Rheinoper "Figaro" inszeniert, wähnt man sich zunächst in einem vorzeitlichen Szenario: Kleider von damals, Kulissen von damals, ein echtes Schloss, am Ende ein echt belaubter Irrgarten (Ausstattung: German Droghetti). Bis heute gilt Hampe als Verächter jenes Regietheaters, in dem – kurz gesagt – ein klassischer spanischer Edelmann ausgewaschene Jeans trägt, Pornos guckt und Six-Packs wegsäuft, als befänden wir uns bei Charles Bukowski. In Duisburg begreifen wir schnell, dass Hampes altmeisterliche Szene nicht staubt, sondern vibriert. Das liegt nicht zuletzt am Tempo, wie das Personal guckt, reagiert, sich bewegt: Es ist hoch wie nie. Doch die meisten Arrangements beflügelt auch innere Dynamik. Hampes Kunst, mit Personen umzugehen, ist fabelhaft und erinnert oft an die dramatische Präzision eines Georges Feydeau.

Zwar gibt es mitunter klamottige oder spielfigurenhafte Lösungen. Dass Cherubino trotzig mit dem Füßchen aufstapft oder mit Trippelschritten wie aufgezogen durch das Schloss läuft, zählt wegen des sündig-dreisten Potenzials des Kerlchens zu den unerfüllten Momenten. Andererseits glückt Hampe etwa beim Grafen Almaviva das Ideal einer überdimensionalen Erscheinung: Der hat Brillantine im Haar, Koteletten an der Wange, wird vom Unterleib regiert, kann aber über sich selbst lachen. Fast ähnelt er dem ewigen Stenz Monaco Franze. Stimmt ja auch.

Dieser Graf ist so präsent, dass sich alle anderen Darsteller mühen müssen, um diesem Lüstling und seiner Machtfülle Paroli zu bieten; der wunderbare Bariton von Laimonas Pautienius schöpft auch aus einer Zisterne voller Töne und Farben. Es ist dann weibliche Souveränität, die mit stiller List des Grafen Präpotenz straft – und diese Retourkutsche vermag hier überaus geschmeidig vorzufahren, weil Sylvia Hamvasi als Gräfin und Anett Fritsch als Susanna nicht nur brillant-warmherzig singen, sondern einander auch ähneln. Der häufig zu erlebende Ernstfall, dass im Finalakt eine kleine kugelige Walküre die Kleider einer Bohnenstange anziehen und mit ihr von allen vernünftigen Menschen auf der Bühne und im Haus verwechselt werden soll, tritt hier gar nicht erst ein.

Das Gelausche und Gerenne im artistisch beleuchteten vierten Akt streift fast die Grenze zum Surrealen, als sei das ein Garten von René Magritte, der selbst Regie führt. Aber hier finden auch alle sängerischen Künste an diesem Abend zusammen, etwa die rächerhaft-liebenswerte Dringlichkeit des Adam Palka als Figaro. Annika Kaschenz hat ihre Nervosität, die noch über "Non so più" lag, bald überwunden; Marta Márquez und Sami Luttinen erfreuen durch Komödiantik und differenziertes Singen, ebenso Anna Lucia Richter als Barbarina. Die Pappkameraden Basilio, Curzio und Antonio erwachen dank der Herren Rankin, Preissinger und Djambazian zu gehörigem Leben, obwohl die Frage erlaubt sein muss, wieso ältliche Kalfaktoren am Privatgericht des Grafen an einem Lendenwirbelsyndrom leiden müssen.

Eher mit schnellem Herzschlag hat die Musik an diesem Abend zu tun, aber pathologisch sind die Werte nur in der knatternden Ouvertüre, in der Axel Kober vielleicht die Betriebsamkeit der Bühne vorempfinden will. Danach findet der Generalmusikdirektor am Pult der bestens aufgelegten, in etlichen Soli erwärmenden, wenn nicht gar bestrickenden Duisburger Philharmoniker zu einem meisterlichen Brio, das atmet und stürmt, sich ins Andante biegt und doch weiß, dass die Geschehnisse hier an einem einzigen Tag abspulen. Vor allem erlebt man jenseits der puren Erledigung einer Partitur die Lust an lebendig phrasierten Bögen, an geschärfter Artikulation, kurz: an Klangrede.

Das ist übrigens ein Begriff von Harnoncourt aus dem Tertiär der historischen Aufführungspraxis, die im Alltag von heute angekommen ist. Auch Hampes Regie wird nicht danach bemessen, wie original das Livrée der Figuren aussieht, sondern wie vital und wahrhaftig der Geist Mozarts zu uns spricht. Beides tut er hier – und zwar in Überfülle.

(RP)
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