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Online-Museumsschau Eine Schule des Sehens

Blick über die Schulter: Der Künstler Marcel Odenbach hebt die Schätze von Friedrich Deneken im Kaiser-Wilhelm-Museum der Stadt Krefeld.

Marcel Odenbach, "Verzettelungen" (2020, 3-Kanal-Videoprojektion).

Marcel Odenbach, "Verzettelungen" (2020, 3-Kanal-Videoprojektion).

Foto: Krefelder Kunstmuseen

Im Krefelder Kaiser Wilhelm-Museum wurde ein Schatz geboren. Es handelt sich um die „Lehr- und Vorbildersammlung des Kaiser Wilhelm Museums“, die der Krefelder Museumsgründer Friedrich Deneken angelegt hatte. Der Schatz lagerte in 255 Kartons unter dem Dach und wurde von der stellvertretenden Museumsleiterin Sylvia Martin wiederentdeckt. Sie bat den Künstler Marcel Odenbach, sich mit diesem Teil der Museumsgeschichte zu beschäftigen, und Odenbach willigte ein.

Das ist umso erfreulicher, als der 67-Jährige alle Hände voll zu tun hat. Er ist seit 2010 Professor für Film und Video an der Kunstakademie Düsseldorf, bis Ende des Jahres auch noch Dekan, wird 2021 mit dem Wolfgang-Hahn-Preis geehrt und bekommt im Herbst 2021 eine Retrospektive in der Kunstsammlung NRW. Er gilt als einer der wichtigsten, interdisziplinär denkenden Intellektuellen und Künstler des 20. Jahrhunderts.

Friedrich Deneken leitete das Krefelder Museum 1897 bis 1922 und engagierte sich im Sinne der Reformbewegung für die lokalen Handwerker und Industriearbeiter. Sie sollen tatsächlich abends im Lesesaal studiert und kopiert haben. Die Mediensammlung der rund 4000 Vorlagen entstand zwischen 1900 und 1920, also vor dem Bilderatlas des berühmten Aby Warburg, den man gern als Vordenker der Bildwissenschaften nennt. Das wiederum interessiert Marcel Odenbach, der seit den 1970er Jahren die Bildwelt der Gegenwart kritisch bis subversiv analysiert und in neuen Zusammenhängen collagiert. Odenbach nennt seine 3-Kanal-Videoprojektion „Verzettelungen“ frei nach Warburgs Zettelsammlung und seinen eigenen Zeitungsausschnitten. Der Haupttitel lautet sibyllinisch: „plötzlich konnte eins wie das andere sein“.

Der Künstler bekam von der Kuratorin tausend der 4000 Motive digital geliefert. Davon wählte er 129 Motive aus. Ihn interessierten Menschenaufnahmen sowie Abbildungen zur Kunst und Ästhetik aus nichteuropäischen Ländern. Ihn wunderte zugleich die Einseitigkeiten. So ist das Frauenbild immer die Madonna. Und die skandinavische Volkskunst wirkt vielfach doch sehr heroisch.

Der Künstler konzentriert sich auf Fundstücke zur Volkskunde, Ethnologie, Anthropologie und Kunstpsychologie. Und er freut sich über die sogenannten Vorsatzpapiere, originale Blätter, die einmalig in Krefeld sind. Sie erinnern ihn an seine eigenen Abstraktionen und Camouflagen, in denen er seine kritischen Spitzen gegen Politik und Gesellschaft der Gegenwart versteckt.

Odenbach, der Bildwissenschaftler, Künstler und Lehrer, lässt sich nun in seiner 3-Kanal-Videoprojektion über die Schulter schauen. Der Besucher kann mit eigenen Augen jedes einzelne Bild hinterfragen. Der Künstler bietet ihm mit der Ausstellung eine Schule des Sehens. Wie selbstverständlich fängt er instinktiv und intuitiv an, die jeweilige Sequenz auf ihren politischen und kulturellen Kontext zu hinterfragen.

Sylvia Martin, die ideale Partnerin des Künstlers, gibt der Ausstellung auch ein Forum im original erhaltenen Lesesaal mit der markanten Säule und dem Glasschrank mit Schubladen, die einst die Kartons mit der Deneken-Sammlung bewahrten, bevor sie unterm Museumsdach landeten. Odenbach hat alle 1000 ihm verfügbaren digitalen Fotos in Schwarzweiß abziehen lassen, um sie zu egalisieren. Nun kleben die Kopien wie eine Bildtapete an der Wand. Dasselbe Material liegt stapelweise in Kopien auf Tischen und darf benutzt werden. Auf dass der Besucher sein eigenes Ordnungsprinzip erzeugt und auf visuelle Ähnlichkeiten achtet, um verwandtschaftliche Beziehungen zu finden.

In diesem Sinn ist ab Ende der Corona-Beschränkungen das Krefelder Museum eine Sehschule für jedermann, organisiert von einem Fachmann, der in den besten Bildern immer auch einen Denkraum der Besonnenheit sieht, wie es Aby Warburg nennen würde.

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