Serie Absturz zu sich selbst

Überlebenskampf auf einer einsamen Insel - Amazon Prime verpackt ein bekanntes Thema in die spannende neue Mini-Serie „The Wilds“.

Nach dem Absturz auf eine einsame Insel beginnt für die jungen Frauen der Kampf ums Überleben.

Nach dem Absturz auf eine einsame Insel beginnt für die jungen Frauen der Kampf ums Überleben.

Foto: Amazon Prime Video

Im Privatjet zum Sommercamp nach Hawaii. Wellness, Seelenkur und Selbstfindung verspricht das Hochglanzprospekt den neun jugendlichen Mädchen, deren Eltern sie hier angemeldet haben, weil sie mit ihren Töchtern nicht mehr klar gekommen sind. Aber es kommt anders. Nach einem Flugzeugabsturz finden sich die Mädchen auf einer einsamen Insel wieder und sind auf sich allein gestellt. Die Prämisse der neuen Amazon-Prime-Serie „The Wilds“ ist dem Klassiker „Herr der Fliegen“ von William Golding aus dem Jahre 1954 entliehen, nur dass hier nicht männliche, sondern weibliche Jugendliche in den Survival-Modus schalten müssen.

Aber der Überlebenskampf in der Natur ist nicht das eigentliche Thema der Serie von Sarah Streicher („Daredevil“), sondern der Blick aus der Inselisolation heraus auf das Leben, das die Mädchen durch den Flugzeugabsturz hinter sich gelassen haben. Anfangs scheinen die Figuren dem Stereotypenkatalog eines High-School-Filmes entsprungen zu sein, aber in der Episodenstruktur werden diese Klischees und Vorurteile nacheinander ausgehebelt. Jede Folge ist einer der jungen Frauen gewidmet, die sich mit schwerem emotionalen Gepäck auf die Reise begeben haben.

Da ist Leah (Sara Pidgeon), die eine verhängnisvolle Affäre mit einem älteren Mann hinter sich hat. Die begabte Cellistin Fatin (Sophia Ali) und die Sportlerin Rachel (Reign Edwards) haben Erwartungshaltungen und Leistungsdruck nicht mehr standgehalten. Shelby (Mia Healey) traut sich nicht aus dem moralischen Korsett ihrer christlich-fundamentalistischen Familie auszubrechen. Aus den Einzelbetrachtungen entsteht sukzessive ein komplexes Bild der direkten und subtilen Unterdrückungsmechanismen, denen Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenendasein in der modernen Gesellschaft ausgesetzt sind.

Aber die Insel wird für die jungen Frauen nicht nur zum Ort der Selbstreflexion und des interaktiven Überlebenstrainings. Schon bald stellt sich für das Publikum heraus, dass die Gestrandeten über versteckte Kameras beobachtet werden und Teil eines sozialen Experimentes der Psychologin Gretchen Klein (Rachel Griffiths) sind, die ihren eigenen Kampf gegen patriarchale Gewaltstrukturen austrägt. Über drei Zeitebenen treibt „The Wilds“ seine Handlung voran, die in jeder Episode aus der Sicht anderen Figur erzählt wird und gleichzeitig mit einer ausgeklügelten Häppchendramaturgie das Wesen der wissenschaftlichen Versuchs entschlüsselt.

Daraus entwickelt Streicher über zehn Episoden einerseits einen tragfähigen Spannungsbogen andererseits eine empathische Nähe zu ihren Figuren, die von dem herausragenden Nachwuchsensemble absolut glaubwürdig verkörpert werden. Eine äußerst gelungene Young-Adult-Serie, die die Intelligenz ihres jungen Publikums nicht unterschätzt und sich thematisch selbstbewusst im Mee-Too-Zeitalter verortet.

„The Wilds“ ab 11.12. auf Amazon Prime 10 Episoden von Sarah Streicher mit Sara Pidgeon, Sophia Ali, Rachel Griffiths

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