Düsseldorf J. K. Rowlings Debüt für Erwachsene

Düsseldorf · Die britische Autorin legt ihr erstes Buch nach ihren sieben "Harry Potter"-Bänden vor. Heute kommt "Ein plötzlicher Todesfall" in die Buchläden. Es ist ein Gesellschaftsroman mit schwarzem Humor – und Rowlings Versuch, sich endgültig in Charles Dickens' Nachfolge zu stellen.

Eine Frage bewegt heute die literarische Welt: Wird sie sich entzaubern? Joanne K. Rowling gehört zu den erfolgreichsten Autoren aller Zeiten. Ihre sieben "Harry Potter"-Bände wurden in 72 Sprachen übersetzt und weltweit von rund 450 Millionen Menschen gekauft – und doch ist J. K. Rowling (46) an diesem Tag eine Debütantin. Denn heute kommt ihr erster Roman für Erwachsene in die Läden, das erste Buch, das ohne Hokuspokus, ohne all ihre charmanten Einfälle vom weltverdunkelnden Deluminator bis zum Zauberlehrlings-Sport Quidditch auskommen muss.

Jeder Stratege hätte ihr geraten, dieses Debüt nicht zu riskieren, es bei ihrem Ruhm als Harry-Potter-Schöpferin zu belassen. Doch genauso hätte man J. K. Rowling vor 20 Jahren empfehlen müssen, sich irgendeinen Halbtagsjob zu suchen, um sich als alleinerziehende Mutter in Edinburgh durchzuschlagen. Stattdessen hat sie sich in ein Café gesetzt, weil es dort wärmer war als in ihrer unbeheizten Wohnung, und hat in ihren Computer getippt. Hat sich dieses Hogwarts-Universum ausgedacht und daran geglaubt, dass sie sich aus ihrer schwierigen sozialen Lage herausschreiben könnte. Sie hat gespürt, dass der kleine Junge mit dem Blitz auf der Stirn auch ihr Retter sein könnte. Sie hat sich nicht beirren lassen. Sie hat getan, was sie tun musste.

Wenn J. K. Rowling also heute ihren ersten Erwachsenenroman an die Öffentlichkeit gibt, dann kann man sie eine mutige Frau nennen. Vor allem aber ist sie eine Autorin, die an ihr Schreiben glaubt. Ein Mensch, der die Geschichten in seinem Kopf zu Papier bringen und dem Urteil der Leser aussetzen muss, auch wenn Ruhm und Geld längst erreicht sind. Das zeichnet den Künstler aus. Und das darf uns gespannt machen auf das neue Werk.

"Ein plötzlicher Todesfall" ist ein Gesellschaftsroman. Rowling führt in die überschaubare Welt der fiktiven westenglischen Kleinstadt Pagford. Gleich auf Seite drei stirbt die Hauptfigur, Barry Fairbrother, ein Emporkömmling mit sozialem Gewissen. Er stammt aus einer Sozialsiedlung, wird angesehener Bürger der benachbarten Kleinstadt und kämpft als Politiker dafür, dass seine alte Siedlung nicht abgehängt wird. Doch dann stirbt dieser Fairbrother, und in Pagford entbrennt ein Kampf um seine Nachfolge im Gemeinderat.

Rowling hat sich also wieder einen begrenzten Raum geschaffen, in dem sie ihre Figuren beobachten kann. Es geht wieder um einen Machtkampf und darum, was Menschen tun, um ihre gesellschaftlichen Rollen zu verteidigen. Rowling blickt hinter die Fassaden in ihrer Kleinstadt, erzählt mit schwarzem Humor von einem indischen Arzt, der Workaholic ist, von einer Ehefrau, die zu viel trinkt, von Menschen, die sich mit Essen trösten. Es geht also um die Süchte der Mittelschicht, um Heuchelei, um Verwerfungen in einer Gesellschaft, in der es an Wärme und wahrer Zuwendung fehlt.

Zu erwarten ist also ein Roman, der gegen die soziale Kälte der Gegenwart anschreibt, und Rowling streitet gar nicht ab, dass sie die englischen Romane des 19. Jahrhunderts im Kopf hatte, als sie ihre Geschichte erfand. Sie ist ja auch eine poetische Realistin und eine Erzählernatur wie Charles Dickens.

Vielleicht reicht die Verbindung zwischen beiden Autoren sogar tiefer. Auch Dickens hat sich schreibend aus seinem sozialen Milieu befreit, erzählte von tapferen kleinen Jungen, die das harte britische Klassensystem überwinden, und wollte dadurch selbst den gesellschaftlichen Aufstieg schaffen.

Zwar betont Rowling überall, dass sie die Geschichte von Harry Potter nicht geschrieben habe, um erfolgreich zu werden. "Ich habe ein Buch geschrieben, von dem ich glaubte, dass es ein gutes Buch ist – mehr nicht", lautet ihre Formel zum eigenen Erfolg. Das ist sicher wahr, denn nur, wer sich ganz der Logik seiner Geschichte anvertraut, kann überhaupt ein gutes Buch schreiben. Harry Potter ist nicht das Ergebnis von Markterhebungen und Leserbefragungen, aber er wurde geboren, weil seine Schöpferin spürte, dass ein Entwicklungsroman, der Internatsromantik mit Fantasy-Abenteuer verknüpft, ein Coup sein könnte.

Nun geht Rowling weiter. Sie erfindet kein neues Genre, sie will sich in der britischen Erzähltradition behaupten. Sie will beweisen, dass sie nicht nur einmal ein Zauberinternat einrichten, einen weiten Spannungsbogen schlagen und universelle Themen in eine weltweit verstandene Geschichte einschreiben konnte, sondern, dass sie eine geborene Erzählerin ist. Eine wie Dickens, deren Werk überdauern wird. J. K. Rowling lässt sich nicht beirren. Sie tut, was sie tun mus.

(RP)
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