Ehebruch, absolut klassisch

Drama "The Deep Blue Sea" mit Rachel Weisz

Eine Affäre aus Langeweile lässt sich geheim halten. Eine Affäre aus Leidenschaft dagegen verrät sich mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil Unbeherrschtheit ihre Grundlage ist. Die vierzigjährige Hester (Rachel Weisz) wirkt wie eine sehr beherrschte Frau. Aber es kommt der Moment, in dem sie am Telefon "Liebling" sagt und nicht merkt, dass ihr Mann ins Zimmer getreten ist. "Wen nennst Du noch so", fragt der Richter Sir William (Simon Russell Beale), ebenfalls bis an den Rand der Steifheit beherrscht. Aber an dieser irrwitzigen Sekunde, in der er sich durch seinen Schock hindurch selbst zu überzeugen versucht, es könne eine harmlose Erklärung geben, lässt sich das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung ablesen.

"The Deep Blue Sea" ist eine klassische Ehebruchgeschichte, makellos nach den Regeln einer anderen Ära inszeniert. Diese Verfilmung eines Theaterstücks von Terence Rattigan spielt nicht nur in den fünfziger Jahren, sie greift auf das Kino von damals zurück. Ihr Regisseur Terence Davies hat sich oft zu Douglas Sirk, dem Meister des Melodrams, bekannt, aber man darf "The Deep Blue Sea" auch in einem Atemzug mit David Leans "Das Ende einer Affäre" von 1955 nennen. Hester wird ihren Mann verlassen und zu ihrem Liebhaber (Tom Hiddleston), einem RAF-Piloten, ziehen, aber das Update der Affäre zur Lebensgemeinschaft scheitert.

Hester hat, wie William Faulkner den Selbstmordmoment genannt hätte, nur noch die Auswahl zwischen dem Nichts und dem Leiden. Terence Davies, Jahrgang 1945, ist ein übersehener Meister des britischen Gegenwartskinos. Als Davies sich in den 80ern vom Schauspieler zum Regisseur mauserte, als er mit der "Terence Davies Trilogy" genannten Sammlung dreier Kurzfilme, die zusammen mit "Distant Voices, Still Lives" von 1988 und "Am Ende eines langen Tages" von 1992 wieder eine Trilogie bildete, ein autobiographisches Werk über Kindheit und Jugend in einem bedrückenden Nachkriegs-England vorlegte, pries ihn die Kritik. Zum Kassenerfolg verhalf ihm das nicht.

"The Neon Bible" von 1995 und "The House of Mirth" von 2000 gingen danach sang- und klanglos unter. Mehr als zehn Jahre hat Davies gebraucht, um Finanziers für ein neues Projekt zu bekommen. "The Deep Blue Sea" ist in der ruhigen, präzisen, auf die Spiegelung von Innenwelten in prägnanten Szenenaufbauten setzenden Inszenierung nicht nur im positiven Sinn altmodisch. Er scheint der rare Nachzügler einer fast ausgestorbenen Art intelligenten Gefühlskinos zu sein. llll

(RP)
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