Wie in Hollywood: "Schwarze Romantik" im Städel

FRANKFURT/M. Die blonde junge Frau schläft schlecht. Ihr nach hinten über das Bett hängendes Gesicht macht einen gequälten Eindruck. Und auf ihrem bleichen Körper, der nur von einem dünnen Negligé verhüllt ist, sitzt ein nackter Alp. Der affenartige Unhold verursacht ihr Kummer. Überdies leuchtet aus dem Hintergrund ein Pferdekopf mit leeren Augen auf. "Der Nachtmahr", so der Titel, ist ein beklemmendes Bild.

Der Schweizer Johann Heinrich Füssli hat es zweimal gemalt, 1781 in Erdfarben und 1790/91 in fahlen Farben. Als die erste Version in London ausgestellt wurde, warnte man Besucher mit labiler Gesundheit davor, sich ihr zu nähern.

Jetzt begrüßt das jüngere Gemälde den längst abgehärteten Besucher im Frankfurter Städel. Es ist das Sinnbild der "Schwarzen Romantik", meint Kustos Felix Krämer angesichts der gleichnamigen Schau.

Der Titel verrät schon, dass es sich nicht um eine klassische Romantik-Schau mit schönen Motiven handelt. Vielmehr widmet sie sich der Kehrseite der Vernunft. Denn das Irrationale hatte Konjunktur nach der gescheiterten Aufklärung und dem Terror der Französischen Revolution. Diese Faszination des Abgründigen, Fantastischen und Bösen verfolgt die Schau bis zu den Symbolisten und Surrealisten.

Freilich hat Krämer den Begriff der Schwarzen Romantik aus der Literatur übernommen. Dort verweist er auf die Neigung zum Unheimlichen und Unerklärlichen, zum Gespenstischen und Grotesken, von Lord Byron über den Marquis de Sade bis zu E. T. A. Hoffmann.

So wagt die Ausstellung einen erfrischend anderen Blick auf die europäische Romantik. Zudem werden neben 200 Bildern, Skulpturen und Fotografien auch Filmklassiker präsentiert, denn etliche Filme zehrten von Füsslis "Nachtmahr", darunter James Whales "Frankenstein" von 1931. Und beim Rundgang drängt sich der Eindruck auf, dass die Unterhaltungsindustrie bis heute von der Romantik profitiert – Hollywood-Regisseure ebenso wie Fantasy-Literaten und Spiele-Erfinder.

Ohnehin begegnet man etlichen berühmten Bildern aus den großen Museen der Welt: Francisco de Goyas "Flug der Hexen" (1797/98) aus Madrid ebenso wie Füsslis "Drei Hexen" aus Zürich von 1783 – ein Jahr, nachdem die letzte "Hexe" in Europa zum Tode verurteilt wurde.

Offensichtlich überzeugte Krämers Konzept die Museen, so dass sie großzügig ihre Bilder verliehen. Auch Vorzeige-Romantiker Caspar David Friedrich ist dabei, mit Gräbern und Gespensterschiff. Doch spannender sind die Entdeckungen: Paul Delaroche stilisierte 1845/46 seine jung gestorbene Frau im Totenbett zur schaurig-schönen Heiligen.

Die obere Etage der Städel-Halle ist den Symbolisten und Surrealisten gewidmet. Auch dort sind Realität und Imagination nicht klar zu trennen.

Das Ideal der Symbolisten war die Stille, etwa Odilon Redons Frau mit geschlossenen Augen von 1890. Das Unbewusste hatten bereits die Romantiker erkannt. Erst Sigmund Freud, der eine Reproduktion von Füsslis "Nachtmahr" besaß, brachte das Ganze auf den Punkt. Und die Surrealisten übersetzten seine Ideen in Bilder, die ins Phantastische ausgreifen.

So übernahm Salvador Dalí 1944 Füsslis schlafende Frau und ließ sie von zwei Tigern anspringen, während ein Elefant auf Spinnenbeinen vorbeispazierte – ein Tagtraum voller Angst und Lust.

Info Städel, Frankfurt/M., bis 20. Januar; Di. und Fr.–So. 10–18, Mi./Do. 10–21 Uhr; Eintritt: 12 Euro (14 Euro Sa./So.); Katalog: 34,90 Euro

(RP)
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