Buch-Kritik Urs Widmer: Ein Leben als Zwerg

Immer dann, wenn Menschen nicht hinschauen, erwachen Zwerge zum Leben. Zumindest in Urs Widmers neuem Buch "Ein Leben als Zwerg". Utis Lieblingszwerg heißt "Vigolette alt", "Grünsepp" ist Nanas Bevorzugter. In diesem Buch erzählt Utis Zwerg aus der Ich-Perspektive aus seinem aufregenden Zwergenleben. Er hat es geschrieben.

 "Ein Leben als Zwerg" von Urs Widmer.

"Ein Leben als Zwerg" von Urs Widmer.

Foto: Diogenes

Urs Widmer - er ist Uti - schreibt auf dem Schutzumschlag, der Zwerg habe es hinter seinem Rücken getan, und er werde sich hüten, auch nur ein Komma daran zu ändern. Er hat gut daran getan!

Uti und Nana leben mit ihren Eltern in einem schönen Haus, unverkennbar das Haus, das man aus Widmers früheren Romanen kennt. Diesmal ist es auch das Haus der Zwerge, 17 sind es. "Vigolette alt" heißt so, weil er ein violettes Jöppchen trägt. Er ist acht Zentimeter groß und aus Gummi. Früher hatte er ein Metallding im Rücken: Wenn man darauf drückte, pfiff er.

Es gibt noch den "Grünsepp", den "Rotsepp", die "Dunkelblöe", die "Böse", die gut ist, und auch "Vigolette neu". Zwerge sterben nicht, sie essen und trinken nicht. Aber Zwerge zerbröseln. Nach einem langen Zwergenleben - inzwischen ist Uti erwachsen geworden - lebt "Vigolette alt" seit langem allein auf einem verstaubten Regal, ein Fuß ist ihm schon abgefallen. Uti hatte ihn als Kind ausgesucht, nur ihn wollte er haben.

Niemals hat "Vigolette alt" gedacht, dass die Zwergenfamilie getrennt werden könnte, aber das Schicksal hat die einen zerbröseln, die anderen verschwinden lassen und die dritten in eine Schachtel auf dem Dachboden verbannt. "Vigolette alt" könnte sich jetzt frei bewegen, weil kaum einer hinschaut, aber er traut sich nicht mehr, vom Regal zu steigen, aus Angst, auch sein zweiter Fuß könnte abfallen. So lässt er sein Zwergenleben Revue passieren, das eng verbunden war mit Uti und Nana.

Er erzählt vom Zottelmarsch der Zwerge, wie sie das Haus und sogar den Garten erkundet haben und in die Ferien gefahren sind, "Vigolette alt" in der Hosentasche von Uti. Es scheint als hätten auch Zwerge ein schlechtes Gewissen: "Vigolette alt" schildert, wie er "Grünsepp" einen Tritt gegeben hat, als Nana und Uti die beiden Zwerge um die Wette schwimmen ließen. Daraufhin ist "Grünsepp" verschollen. Weil Nana untröstlich ist über den Verlust, jubelt ihr Papi einen neuen Zwerg unter, der trägt zwar ein gelbes Jöppchen, behauptet aber, "Grünsepp" zu sein.

Der richtige "Grünsepp" kommt am Schluss zurück. Die alten Zwerge sind noch einmal glücklich, machen einen Zottelmarsch und dumpfen. Aber "Grünsepp" will nicht bleiben, er will Nana suchen, davon überzeugt, dass sie es ohne ihn nicht schafft. Sie braucht ihren Schutzzwerg.

Dieses Zwergenbuch von Urs Widmer ist nicht voll gepackt mit tiefsinnigen und tiefschürfenden Handlungen, Dialogen und Gleichnissen. Es ist eine hübsche, heitere und unbeschwerte Geschichte mit liebenswerten Menschen und Zwergen. Alle haben ihre Schwächen und Stärken. Wie eben im richtigen Leben, ob im Menschen- oder im Zwergenleben. Der Zwerg lässt dem Leser viel Freiraum für eigene Interpretationen. Das macht das Buch zur unterhaltenden Frühlingslektüre, wobei unterhaltend keineswegs gleichzusetzen ist mit anspruchslos.

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