Michael Vassiliadis "Politik sollte Kraftwerksbetreiber stützen"

Der Chef der Gewerkschaft IG BCE fordert ein schnelles Umdenken bei der Energiewende, ein stärkeres Engagement der großen Koalition in Brüssel und ein Abfedern der Gefahren für energieintensive Betriebe.

Sie haben sich wiederholt unzufrieden über die Energiewende geäußert. Was schlagen Sie vor?

Vassiliadis Wir brauchen eine Debatte darüber, was zu welchem Zeitpunkt das Hauptziel bei der Energiewende sein soll. Wollen wir uns auf die CO2-Reduktion konzentrieren? Dann müssen wir ab sofort viel stärker über die Klimagasreduktion beim Autofahren, Fliegen oder bei der Gebäudesanierung sprechen. Oder wollen wir vor allem eine Energieversorgung ohne Atomkraft aufbauen? Beide Ziele unkritisch miteinander zu verknüpfen halte ich für falsch.

Das müssen Sie erklären.

Vassiliadis Derzeit bauen wir einfach ein Windrad oder eine Solarzelle nach der anderen. Der Gedanke, dass man so zu einem Zeitpunkt X ohne Brennstoff auskommen könnte, ist zwar faszinierend. CO2-mäßig sind wir aber erst einmal in einer Sackgasse. Denn für die Schwankungsreserve, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen wir immer noch fossile Brennstoffe – derzeit ist ihr Anteil so hoch wie noch nie. Wollen wir wirklich CO2-sparend den erneuerbaren Anteil ausbauen, dann hätten wir nie aus der Kernenergie aussteigen dürfen.

Wir können auf absehbare Zeit also nicht auf die Braunkohle verzichten.

Vassiliadis Genau. Wir werden im rheinischen Braunkohlerevier und in der Lausitz noch sehr lange Kohle abbauen. Nicht nur, weil meine Mitglieder da arbeiten, sondern weil es die günstigste und die einzige noch marktfähige Stromerzeugung ist. Aber wie gesagt: Sie ist den CO2-Romantikern ein Dorn im Auge.

Halten die Betreiber das durch? Die erneuerbaren Energien werden doch vorrangig ins Netz eingespeist.

Vassiliadis Wenn die Politik den Konzernen nicht hilft – etwa durch einen Kapazitätsmarkt –, bleiben sie angeschlagen. Dann bleibt wenig anderes übrig, als zu rationalisieren. Oder wie es RWE jetzt getan hat: mit dem Verkauf des Gas-Versorgers DEA das Tafelsilber einmalig zu versetzen.

Wenn Sie von der Politik reden, dann kommt auch der Energieminister ins Spiel. Sind Sie mit ihm zufrieden?

Vassiliadis Gut ist, dass Gabriel und auch die Kanzlerin das Thema vorantreiben. Aber wir müssen jetzt schauen, wie die Reform-Eckpunkte aussehen. Die IG BCE betrachtet das Problem ja immer von zwei Seiten: Wir vertreten nicht nur die Beschäftigten der Energieerzeuger. Das Gros unserer Mitglieder arbeitet in den energieintensiven Industrien. Dort rasen wir auf eine Wand zu – und anstatt voll in die Eisen zu steigen, tritt die neue Regierung nur leicht auf die Kostenbremse.

Sie sprechen vom Beihilfeverfahren der EU-Kommission zur EEG-Umlage. Ist die Regierung zu zögerlich?

Vassiliadis Ich denke, dass die Bundesregierung das Problem erkannt hat und auch entschlossen mit der EU-Kommission verhandelt. Wahr ist aber auch: Wir haben in Deutschland ein gigantisches Fördersystem für Erneuerbare geschaffen, das nur mit vielen Ausnahmen funktioniert. Das haben Deutsche, die nicht davon profitieren, in Brüssel beklagt, und das war der Auslöser, dass die EU-Kommission sich damit beschäftigt. In der Energiepolitik reicht die nationale Perspektive eben nicht. Wir haben zwar einen europäischen Binnenmarkt und selbst die Sozialpolitik wird harmonisiert – nur beim Energiemarkt bekommt man das nicht hin.

Da sind Sie mit dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger einer Meinung.

Vassiliadis Naja, Herr Oettinger will ja die spezifischen Vorteile einer jeden Region in Europa nutzen – da wo die Sonne scheint, da wo der Wind weht. Das ist mindestens sehr vereinfachend und erinnert auch ein bisschen an sozialistische Planwirtschaft. Aber es geht schon intelligenter, als wir es derzeit machen. Nehmen Sie nur das EEG: Wir sind ja nicht die einzigen mit einer solchen Umlage. Da gibt es europaweit verwirrende Strukturen.

Bei der deutschen EEG-Umlage hat Kommissar Almunia ins Spiel gebracht, die energieintensiven Betriebe müssten nur 20 Prozent zahlen.

Vassiliadis Es bewegt sich was in den Verhandlungen, das ist zunächst einmal positiv. Die neue Liste mit den energieintensiven Betrieben ist präziser als je zuvor. Ob die von Ihnen genannten 20 Prozent tatsächlich verlangt werden, wird man sehen. Für zahlreiche Unternehmen wäre auch dieser Wert Existenz bedrohend. Es darf keine Preissteigerungen für Energie geben, die nicht mehr zu bewältigen sind. Das muss die Linie sein.

Was würde das für den Arbeitsmarkt bedeuten?

Vassiliadis Wenn das so käme, würde beispielsweise Trimet in Essen vom Markt verschwinden. Gleiches gilt für die Kupferproduktion oder in der Chemie für einzelne Anlagen. Wir kommen da an einen gefährlichen Punkt, an dem alle schweißgebadet sagen: "Hey, super Kompromiss, auch wenn dafür einige über die Klinge springen mussten." Das ist unnötig. Alle sind rettbar.

Was muss sich bei uns beim EEG tun?

Vassiliadis Wir sind jetzt schon bei einem Anteil der erneuerbaren Energien von 24 Prozent. Die weiteren Ausbauzahlen, die da jetzt in den Koalitionsvertrag reingeschrieben wurden, sind gigantisch. Zumal es noch überhaupt keinen realistischen Zeitkorridor gibt, wie die tatsächlich erreicht werden sollen, ohne das Gesamtsystem zu überfordern.

Sie haben eine Kohlestromgesellschaft vorgeschlagen. Wie war das Echo?

Vassiliadis Es geht da nur um Steinkohlekraftwerke. Manche waren überrascht, dass der Vorstoß nicht von den Konzernen kam. Die Unternehmen haben zumindest nicht nein gesagt. Ich habe jetzt eine Investment-Gesellschaft das Ganze zu einem Konzept ausarbeiten lassen. Das bekommen die Betreiber, dann werden wir weiter darüber reden.

Wäre das eine Bad Bank für die Steinkohle?

Vassiliadis Das wäre auch eine Idee, entspricht aber nicht meinem Vorschlag. Da sollen nicht nur die unprofitablen, sondern alle Steinkohlekraftwerke rein. Die Unternehmen würden dann Anteile an dieser Gesellschaft halten. Dann entsteht eine Reihe von Synergien, wenn die Steinkohleverstromung einheitlich gemanagt wird.

MARTIN KESSLER UND MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

(RP)
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