Walter Schneeloch "Turbo-Abitur – weniger Zeit für Sport"

Der Präsident des Landessportbunds NRW spricht über die Chance des offenen Ganztags, die Aktivität der Generation 50+ und über die Vorliebe der Bundeskanzlerin für den Fußball.

 Walter Schneeloch (66) aus Bergisch Gladbach, Präsident des Landessportbunds NRW.

Walter Schneeloch (66) aus Bergisch Gladbach, Präsident des Landessportbunds NRW.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Die Wahrnehmung des Sports in Nordrhein-Westfalen in der Öffentlichkeit wird zum Großteil vom Profifußball bestimmt. Hilft das auch dem NRW-Sport in Gänze?

Schneeloch Beim Blick auf den Profifußball entsteht bei vielen Menschen — gerade bei Politikern — der Eindruck, dass es dem Sport sehr gut geht und er keine finanzielle Unterstützung braucht. In Wirklichkeit liegen Welten zwischen Profifußball oder Formel 1 auf der einen Seite und dem organisierten Sport, den wir als Landessportbund vertreten.

Kostet das Turbo-Abitur den Sport Talente?

Schneeloch Ja. Den Kindern fehlt durch die längere Bindung in der Schule die Zeit für den Sport. Wir versuchen Modelle zu entwickeln, wie die Talentförderung in den Vereinen angesichts dieser Rahmenbedingungen erhalten werden kann. Wir diskutieren auch diesen Punkt am Montag mit 1200 Teilnehmern beim Kongress "Sport im Ganztag — Bildung braucht Bewegung" in Düsseldorf.

Was muss denn passieren, damit gerade im Ganztagsunterricht Schulen und Vereine zu ihrem Recht kommen?

schneeloch Die Vereine dürfen keine Blockadehaltung einnehmen. Denn dann sind sie die Verlierer. Die Ganztagsschule ist gesellschaftlich gewollt, und das ist auch richtig. Die Vereine müssen aber verstärkt Angebote im Bereich des offenen Ganztags anbieten. Denn damit haben sie die Chance, an Kinder heranzukommen, an die sie sonst nicht herankommen. Knapp 50 Prozent der Angebote im offenen Ganztag werden schon jetzt von den Sportvereinen bzw. Stadt- und Kreissportbünden gemacht. Wir als LSB müssen organisatorisch Hilfestellung leisten, damit ein Konzept aus einem Guss entsteht. Dazu gehört auch eine spezielle Qualifizierung von Übungsleitern für diese anspruchsvolle Tätigkeit.

Ein Problem in NRW ist der schlechte Zustand vieler Sportstätten.

Schneeloch Die Konjunkturpakete haben zuletzt etwas für Abhilfe gesorgt, aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn es nicht gelingt, die Kommunen finanziell besserzustellen, damit unter anderem Sportstätten saniert werden, dann holen wir die mittleren Jahrgänge zwischen 20 und 50 nicht in die Vereine zurück. Diese Jahrgänge treiben Sport oft nichtorganisiert, indem sie joggen oder Mountainbike fahren oder in kommerzielle Fitnessstudios gehen.

Wie können die Vereine dem entgegenwirken?

Schneeloch Große Vereine wie etwa der TV Ratingen oder die SG Langenfeld, die flexible Angebote machen und auch Fitnessstudios betreiben, explodieren förmlich auch in dieser Altersgruppe. Generell haben wir aber das Problem, dass uns die mittlere Altersgruppe verloren geht. Familie und Beruf verhindern oftmals, dass man sich einer Gruppe anschließt, die jede Woche zur gleichen Zeit trainiert. Aber uns muss klar sein, dass die Zukunft unserer Vereine in der älteren Generation liegt. Auch die kommerziellen Fitnessstudios richten sich immer mehr nach den Bedürfnissen der Altersgruppe 50+ aus.

Das war nicht immer so.

Schneeloch Zu meiner Zeit hörte die Sportkarriere mit 30 auf, dann spielte man noch etwas bei den Alten Herren Fußball, das war's. Sport war ein Privileg der Jugend. Dieses Verhalten hat sich gewandelt.

Große Vereine können flexible Angebote machen. Heißt das, kleinere Vereine sollten fusionieren?

Schneeloch Nicht unbedingt. Aber ich werbe dafür, dass sich Vereine zusammentun, ohne zu fusionieren, und zum Beispiel gemeinsam hauptamtliche Geschäftsführer einstellen. Das hebt die Qualität der Angebote. Und wenn Hauptamtler den vielen unverzichtbaren Ehrenamtlern die vielen bürokratischen Aufgaben abnehmen, werden die gestärkt und müssen sich nicht von der Kleinarbeit entnerven lassen.

München erwägt, sich nach der gescheiterten Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018 erneut zu bewerben. Was würden die Spiele dem deutschen Sport bringen?

Schneeloch Olympische Spiele geben dem gesamten Sport in einem Land einen Schub. Ich erinnere an München 1972.

Wie sehen Sie die Chancen auf Olympische Winterspiele 2022 in Bayern?

Schneeloch Sie stehen nicht schlecht. Wir brauchen aber nach der Bundestagswahl und der bayerischen Landtagswahl im Herbst dieses Jahres ein klares Bekenntnis der Politik, dass sie die Spiele will. Der Staat muss die Bewerbung finanziell absichern. Außerdem muss die Bevölkerung in München und in Garmisch-Partenkirchen in einer Abstimmung klar machen, dass sie die Spiele will.

Wünschen Sie sich ein stärkeres Bekenntnis der Bundeskanzlerin zum olympischen Sport?

Schneeloch Ich bin erstaunt, dass sich die Kanzlerin fast mit dem Bundespräsidenten streitet, wer beim DFB-Pokalfinale den Pokal überreicht. Den Besuch bei Olympischen Spielen überlässt sie aber dem Bundesinnenminister. Mich hat schon enttäuscht, dass die Kanzlerin nicht die Gelegenheit nutzt, über den Fußball hinaus einen wichtigen Akzent zu setzen.

MARTIN BEILS UND ROBERT PETERS FASSTEN DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

(RP)
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