Kommentar zur Causa Erdogan Die Nationalmannschaft ist mehr als ein Marketinginstrument

Dortmund · Was Joachim Löw bei der Nominierung des vorläufigen WM-Kaders bekanntgab, lieferte genug Gesprächsstoff. Doch noch immer sind Ilkay Gündogan und Mesut Özil das beherrschende Thema, weil ein klares Bekenntnis weiterhin fehlt. Ein Kommentar.

Ilkay Gündogan posiert mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Ilkay Gündogan posiert mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa/Uncredited

Die Nominierung des Kaders für ein großes Fußballturnier ist eine emotionale Angelegenheit. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer begrenzten Zahl von Nominierten viele Enttäuschte zurückbleiben, die sich sicher auf der Liste wähnten. Eine echte Sensation, wie es 2006 die Berufung des bis dahin vergleichsweise unbekannten David Odonkor war, gab es seither nicht mehr. Dass es Nils Petersen in den erweiterten Kreis geschafft hat, ist eine Überraschung, mehr nicht – er ist immerhin mit 15 Treffern der beste deutsche Stürmer in der Bundesliga. Sandro Wagner hatte in seinen Aussagen den Termin schon fest eingeplant – ihn nicht mitzunehmen und sich dafür für den erfahrenen Mario Gomez zu entscheiden, ist verständlich.

Ein Schaden für das Wir-Gefühl

Doch wer redet 30 Tage vor dem WM-Start schon über diese Personalien? Neuer dabei, Götze spielt keine Rolle mehr. Ein Thema überlagert alles – und auch wenn der DFB das Thema nicht weiter aufkochen möchte, die Aktion von Mesut Özil und Ilkay Gündogan wird mindestens die kommenden Wochen noch bestimmen. Sie hat für einen tiefen Riss gesorgt. Zumindest in vielen sogenannten „Sozialen Medien“ haben Anhänger wortreich angekündigt, dem Team die Gefolgschaft zu kündigen, sollte der Verband nicht reagieren.

Ausgerechnet in einer Phase, in der DFB-Teammanager Oliver Bierhoff für ein Wir-Gefühl wirbt, um so die maximale Unterstützung „von 80 Millionen Deutschen“ für das anstehende Turnier in Russland zu erhalten, war es ein Bärendienst erster Güte, dass Özil und Gündogan sich derart präsentiert und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Wahlkampf unterstützt haben. Sportlich wäre es komplett unsinnig gewesen, auf Özil und Gündogan zu verzichten.

Bundestrainer Joachim Löw tut gut daran, sich nicht von einer aktuellen Stimmungslage treiben zu lassen, sondern nach rein sportlichen Kriterien zu urteilen. Mit einem einfachen „Sorry, dumm gelaufen“ der beiden Protagonisten kann es aber auch nicht getan sein. Emre Can, derzeit verletzt und deshalb nicht nominiert, hat es ja offenbar auch geschafft, eine mündige Entscheidung zu treffen und Erdogan die Ehrerbietung verweigert. Umso wichtiger ist es deshalb, dass sich Özil und Gündogan unmissverständlich zu dem Land bekennen, dessen Adler sie auf der Brust tragen. Es geht nicht darum, zu Kreuze zu kriechen. Es geht nicht darum, sich mit geschliffenen Worten von Marketingstrategen zu erklären. Es wäre durchaus hilfreich, wenn sich beide persönlich der Öffentlichkeit stellen und erzählen, was sie bewegt. Nur so wird es möglich sein, das Thema abzuhaken und den Stimmenfängern am rechten Rand nicht das Feld zu überlassen. Die deutsche Nationaltrikot ist eben nicht nur ein Marketinginstrument – es muss auch ein Bekenntnis zum Heimatland seines Trägers sein.

(gic)
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