Berliner Republik Wenn Pöbeln guter Ton wird Dass Politiker für ihre Pläne kämpfen, ist gut. Öffentliche Gehässigkeiten sind schlecht.

Eigentlich studieren Politiker Umfragen ja genau. Manch einem mag aber entgangen sein, dass 90 Prozent der Deutschen Höflichkeit wichtig finden. Es müssen die übrigen zehn Prozent sein, die in den sozialen Netzwerken herumpöbeln.

Unter Verhandlungsdruck jedenfalls lassen Politiker die Etikette schon mal fahren. Wenn die Türen geschlossen sind, liefern sich die Verhandler - so auch bei den Groko-Gesprächen - gelegentlich Schreiereien und böse Unterstellungen. "Das Übel hat einen Namen: Alexander Dobrindt", rief der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) in der Sondierungsnacht empört, als sich der CSU-Unterhändler bei den Themen Steuern und Zuwanderung sperrig gab. Solche Ausbrüche sind akzeptabel, und man darf auch erwarten, dass sich die gewählten Volksvertreter für ihre Überzeugungen in die Bresche werfen.

Überflüssig und für die Wähler oft nicht nachvollziehbar sind öffentlich ausgetragene Gehässigkeiten - wie Dobrindts Hinweis, bei dem parteiinternen Widerstand gegen die große Koalition handele es sich um einen "Zwergenaufstand". Den Sozialdemokraten, die tatsächlich für ein Bündnis mit der Union kämpfen, macht diese Bemerkung das Leben schwer. Unentschlossene könnten auf den Gedanken kommen, dass man das Sondierungspapier noch durchwinken kann, aber ein Bündnis mit solch einem CSU-Landesgruppenchef lieber nicht eingehen möchte.

Das Ansehen von Politik und Staatsmacht ist derzeit nicht so hoch, dass es sich die Standesvertreter leisten könnten, sich gegenseitig schlechtzumachen. Zumal es mit der AfD ja eine politische Gruppierung im Bundestag gibt, bei der es wiederum zum guten Ton gehört, alle anderen Parteien schlechtzumachen und die politischen Spielregeln auszutesten. Die Pöbler in unserer Gesellschaft sind laut, in der Mehrheit sind sie zum Glück nicht.

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(RP)
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