Washington Tote bei Protesten gegen Koran-Verbrennung

Washington · Eine islamfeindliche Aktion fundamentalistischer Christen in den USA hat in Afghanistan eine Welle der Gewalt ausgelöst. US-Präsident Barack Obama verurteilte sowohl die Provokation eines "engstirnigen" Sektenführers in Florida als auch die mörderische Gewalt der Demonstranten.

Da ist er wieder, der Pfarrer mit dem eisgrauen Walrossbart, selbstgerecht und ohne das geringste Anzeichen von Bedauern. Die Toten in Afghanistan erfüllten ihn mit Trauer, sagt Terry Jones. Aber Reue? Die empfinde er nicht. "Wann immer jemand ermordet wird, finden wir es tragisch. Doch wir spüren nicht, dass wir dafür irgendeine Verantwortung tragen." Vielmehr sehe er sich bestätigt in seiner Ansicht, dass der Islam ein "sehr radikales Element" enthalte. Es ist zwei Wochen her, dass Jones, der fanatische Pastor einer winzigen "Kirche" in Florida, einen Koran verbrennen ließ. Heftige Ausschreitungen in Afghanistan, die auch gestern anhielten, sind zeitverzögert die Folge.

Am Freitag kamen in Masar-i-Scharif 14 Menschen ums Leben, unter ihnen sieben UN-Mitarbeiter, als ein Mob das lokale Büro der Vereinten Nationen stürmte. Von Masar-i-Scharif aus leitet die Bundeswehr das Regionalkommando für den afghanischen Norden. Am Samstag starben bei Protesten im südafghanischen Kandahar mindestens zwölf Personen.

In Washington meldete sich Präsident Barack Obama zu Wort, um die Wogen zu glätten. "Die Entweihung eines heiligen Texts, den Koran eingeschlossen, ist ein Akt extremer Intoleranz und Engstirnigkeit." Als Reaktion darauf Unschuldige zu töten, fügte er hinzu, sei ein "Affront gegen die menschliche Würde".

Wahrscheinlich diese Woche will Obama verkünden, dass er sich ein zweites Mal um die Präsidentschaft bewirbt. Die weitere Entwicklung in Afghanistan, wo rund 100 000 US-Soldaten stationiert sind, entscheidet mit darüber, wie die Wähler seine erste Amtszeit bewerten und ob es ihm gelingt, ein zweites Vietnam zu vermeiden. In diesem Sommer soll am Hindukusch der Abzug beginnen und, wenn es gut läuft, bis 2014 abgeschlossen sein. Eine Eskalation der Gewalt, provoziert durch einen geltungssüchtigen Geistlichen, der sich nur durch Publicity-Einlagen im Gespräch hält, wäre für Obama der denkbar schlimmste Fall.

Schon am 11. September, als die Amerikaner zum neunten Mal der Toten der Terroranschläge gedachten, hatte Jones einen Koran verbrennen wollen. Damals bedurfte es geduldigen Zuredens von Spitzenpolitikern, Kirchenleuten und Generälen, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wochenlang stand der obskure Prediger im Rampenlicht. Anders diesmal. Die Medien schenkten ihm keinerlei Beachtung, als er für den 20. März einen Prozess anberaumte, mit dem Koran auf der Anklagebank. Angetan mit schwarzer Robe nahm Jones auf einem Richterstuhl Platz, während sein Assistent Wayne Sapp den Koran auf eine feuerfeste Metallunterlage legte. Es gab Kläger, eine Geschworenen-Jury und einen Verteidiger, einen sympathisierenden Imam aus Texas. Erwartungsgemäß endete die Farce damit, dass die Schrift des Islam, zuvor in reichlich Kerosin getränkt, in Flammen aufging. Zum Provozieren reichte es, dass es einen einzigen Kanal gab, der es übertrug. Truth TV ("Wahrheits"-Fernsehen), der kalifornische Satellitensender von Ahmed Abaza, einem zum Christentum konvertierten Muslim, berichtete live. Via YouTube ließ Jones die Sendung ins Internet stellen, so dass jeder sie sehen konnte.

Es ist der typische Fall eines Außenseiters, der mittels moderner Technik weltweite Aufmerksamkeit erregt, obwohl er daheim praktisch bedeutungslos ist. Für Karfreitag hat Jones in Dearborn, der Hochburg arabischstämmiger Amerikaner, eine neue Aktion angekündigt.

(RP)
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