Berlin Studie : Im Ruhrgebiet und in Berlin wächst die Armut

Berlin · Ein Sofortprogramm zur Bekämpfung von Armut in Deutschland in Höhe von zehn bis 20 Milliarden Euro hat der Paritätische Wohlfahrtsverband gefordert. Derzeit sei die Armut auf Rekordniveau, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Ulrich Schneider, in Berlin. Noch nie nach der Wiedervereinigung seien bei gleichzeitig sinkenden Arbeitslosenraten so viele Menschen von Armut bedroht gewesen. Der Vergleich zwischen 2011 und 2010 zeige eine dramatische Entwicklung.

Schneider sagte, Erfolge in der Arbeitslosenstatistik würden mit Niedriglöhnen und prekären Beschäftigungsverhältnissen erkauft. Wie in den USA gebe es in Deutschland inzwischen die "working poor", also Menschen, die trotz Erwerbsarbeit nicht genügend Geld zum Leben hätten.

Besonders dramatisch sei die Situation in Berlin sowie in Nordrhein-Westfalen, vor allem im Ruhrgebiet. Dort sei die Armutsgefährdungsquote in einzelnen Städten in den vergangenen Jahren um mehr als 40 Prozent gestiegen. Als Ursachen für die Entwicklung nannte Schneider die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen. Zu einem Gutteil sei dieses Problem aber auch durch die Hartz IV-Gesetzgebung politisch hausgemacht, so Schneider. Außerdem sei mit den Sparbeschlüssen von 2010 sehr viel im Sozialbereich abgebaut worden, etwa die öffentlich geförderte Beschäftigung. Das Elterngeld für Hartz-IV-Bezieher sei gestrichen worden.

Schneider forderte Mindestlöhne, Zuverdienst-Renten, die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und eine Reform des Wohngeldgesetzes. Finanziert werden solle dies durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie die Erhöhung der Erbschaftssteuer. "Wir haben das Geld – wir haben in Deutschland 4,8 Billionen Euro bei den Privathaushalten auf den Konten."

Nach Angaben des Verbands hat die Armutsgefährdungsquote seit 2006 stetig zugenommen und befindet sich mit 15,1 Prozent auf einem Höchststand seit der Vereinigung. Mit Bremen landet im Bundesländerranking erstmalig ein westdeutsches Bundesland auf dem letzten Platz. Vergleichsweise gut stünden Bayern und Baden-Württemberg da. Von den neuen Bundesländern habe Thüringen in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung genommen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, die neuen Zahlen zeigten, wie zynisch und verlogen die "Alles ist gut"-Rhetorik der Koalition aus Union und FDP sei. Auch er warnte davor, "amerikanische Verhältnisse" zuzulassen. "Wer hart arbeitet, muss davon leben können – ohne Gang zum Sozialamt", so Gabriel. Unterdessen wies auch der "Bundesverband Deutsche Tafel" auf eine wachsende Zahl armer Menschen in Westdeutschland – speziell im Ruhrgebiet – hin.

(kna)
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