Hetze gegen Osteuropäer EU empört über Rechtspopulist Wilders

Amsterdam · "Meldepunkt Mittel- und Osteuropa" – auf den ersten Klick wirkt Hollands neue Skandal-Website, die bis Brüssel Wellen schlägt, harmlos. Doch hinter dem bürokratisch-schlichten Begriff steht knallharte Hetze gegen Ausländer. Den Internet-Pranger verantwortet Geert Wilders.

Geert Wilders provoziert mit grüner Krawatte vor Gericht
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"Meldepunkt Mittel- und Osteuropa" — auf den ersten Klick wirkt Hollands neue Skandal-Website, die bis Brüssel Wellen schlägt, harmlos. Doch hinter dem bürokratisch-schlichten Begriff steht knallharte Hetze gegen Ausländer. Den Internet-Pranger verantwortet Geert Wilders.

Auf einem Beschwerdeformular sollen Niederländer Belästigungen durch den Zustrom von angeblich bis zu 350.000 Migranten aus Polen und anderen Ländern anzeigen, die die Öffnung des Arbeitsmarktes für Menschen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten mit sich gebracht hat.

Zur Auswahl stehen: Jobverlust, Trunkenheit, Verwahrlosung, Ruhestörung und Parkplatznot. Mehr als 30.000 Einträge gibt es bereits. Das bringt Premier Mark Rutte in höchste Bedrängnis.

Dessen Minderheitsregierung aus Rechtsliberalen und Christdemokraten lässt sich von Geert Wilders dulden, ist auf dessen Freiheits-Partei PVV als Mehrheitsbeschaffer im Parlament angewiesen. Deshalb weigert sich Rutte standhaft, die Aktion zu verurteilen. Und das, obwohl der Proteststurm täglich heftiger wird.

"Diskriminierend und entwürdigend"

Die Botschafter zehn mittel- und osteuropäischer Länder forderten per Brandbrief von den "politischen Verantwortlichen" in Den Haag, "sich von dieser bedauerlichen Aufforderung zu distanzieren". "Es ist diskriminierend und entwürdigend, eine in den Niederlanden lebende Gruppe von Menschen auszugrenzen."

Die Arbeitgeberorganisation VNO-NCW spricht von einer "unverantwortlichen Aktion" gegen dringend benötigte Arbeitskräfte. Niederländische Unternehmen in Polen fürchten um den Ruf ihres Landes und das Geschäft.

"Die Polen machen keinen Unterschied zwischen der Meinung der Partei der Freiheit und der Regierung", schreibt die polnisch-niederländische Handelskammer an das Wirtschaftsministerium. Genau da liegt das Problem: Premier Rutte versucht stur, Wilders Aktion als Parteiangelegenheit von dessen PVV abzutun, die man nicht "zu wichtig" nehmen sollte.

"Diese Webseite ist nicht hinnehmbar"

Dabei ist sie längst zur Regierungs-Affäre geworden. Nicht nur, weil Wilders auf der Webseite verspricht, die Beschwerden der Niederländer über ihre osteuropäischen Mitbürger ans Arbeitsministerium weiterzuleiten. Auch Brüssel ist alarmiert und will Taten sehen.

Die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament forderte die niederländische Regierung gestern auf, jede Form rassistisch motivierter Diskriminierung zu bekämpfen. "Diese Webseite ist nicht hinnehmbar und verletzt die Grundfreiheiten der EU", sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) unserer Zeitung.

Er will Hollands Premier vor dem EU-Gipfel Anfang März persönlich ins Gebet nehmen. Zuvor hatte die Brüsseler Exekutive die Webseite bereits verurteilt. Die niederländische Internetkommissarin Neelie Kroes: "Es ist lächerlich zu denken, dass die Denunzierung anderer auf einer Website aus den Niederlanden oder der EU einen besseren Ort macht."

Tulpenkrieg mit Rumänien

In Anspielung auf Wilders strohblond gefärbte Haare forderte sie sarkastisch: "Haben Sie noch nie blondes Haar gemocht? Dann zeigen Sie Blonde an!" Dennoch: Eine rechtliche Handhabe für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande sieht Brüssel nicht, da es sich nicht um eine staatliche Webseite handelt.

Klagen vor niederländischen Gerichten sind zwar möglich. Doch schon einmal kam Islam-Gegner Wilders straffrei davon, als er sich in einem Prozess wegen Volksverhetzung erfolgreich auf die Meinungsfreiheit berief.

Der Rechtpopulist, der sich von Neonazis scharf abgrenzt, gewinnt immer mehr Einfluss auf die Politik des einst so toleranten Landes. Für Wilders' Duldung musste Premier Rutte ihm versprechen, die Einwanderung nicht-westlicher Ausländer um 50 Prozent zu senken und den Zustrom von Asylbewerbern um ein Viertel zurückzudrängen.

In Brüssel blockiert Den Haag aus Rücksicht auf Wilders die längst geplante Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den grenzkontrollfreien Schengen-Raum.

Der Konflikt führte schon zum "Tulpenkrieg": Aus Protest boykottiert Bukarest sämtliche niederländischen Blumen-Importe.

(csr)
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