Bauwirtschaft 653.000 ungenutzte Baugenehmigungen steigern die Wohnungsnot

Berlin · Immobilienexperten registrieren einen Höchststand beim Bauüberhang, der Differenz zwischen Baugenehmigungen und Wohnungsfertigstellungen. Ursachen sind fehlende Baukapazitäten, aber auch wachsende Spekulation.

 Unbebautes Bauland in Nordrhein-Westfalen.

Unbebautes Bauland in Nordrhein-Westfalen.

Foto: Christoph Reichwein (crei)/Reichwein, Christoph (crei)

Trotz großer Wohnungsnot werden in Deutschland Hunderttausende Baugenehmigungen über Jahre nicht genutzt oder sie verfallen.. Der so genannte Bauüberhang – das ist die Differenz zwischen Baugenehmigungen und Wohnungsfertigstellungen – erreichte Ende 2017 mit 653.000 noch nicht gebauten, aber genehmigten Wohnungen den höchsten Stand seit 1999. Der hohe Überhang zeige, dass die Kapazitäten der Bauwirtschaft fast vollständig ausgeschöpft seien, erklärten Immobilienexperten. Bis eine Wohnung fertiggestellt werde, dauere es heutzutage deutlich länger als noch vor Jahren. Doch seit etwa zwei Jahren steigt nach ihren Angaben auch die Zahl der Baugenehmigungen, die nie zum Bau führen. Dies lasse darauf schließen, dass Investoren trotz erteilter Baugenehmigungen lieber auf weiter steigende Baulandpreise spekulierten.

Fehlende Baukapazitäten und wachsende Spekulationen mit Immobilien sind der Bundesregierung ein Dorn im Auge. Denn sie hatte sich zum Ziel gesetzt, die Zahl der fertiggestellten Wohnungen deutlich zu steigern, um der Wohnungsnot Herr zu werden. Jährlich sollten 375.000 Wohnungen auf den Markt kommen, tatsächlich sind es aber rund 50.000 bis 100.000 weniger. Die Zahl der Baugenehmigungen war zwar seit 2017 leicht rückläufig – dennoch bleibt ein erheblicher Überhang, der vor allem mit zu wenig Fertigstellungen und nicht mit einem Mangel an Genehmigungen zu erklären ist.

„Es gibt unterschiedliche Gründe, warum ein Grundstück nicht bebaut wird oder nicht bebaut werden kann“, sagte Andreas Mattner, Präsident des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss, Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. Beispielsweise könne eine Einigung mit der Kommune über die Art und Weise der Bebauung ausbleiben. „Es kann auch sein, dass ein Projekt aufgrund stark steigender Baukosten wieder eingestampft oder umgeplant werden muss“, so Mattner. Schließlich komme es auch vor, dass Erbengemeinschaften zunächst familiäre Angelegenheiten klären müssten, bevor gebaut werden könne.

Baugenehmigungen werden im Durchschnitt der Länder für drei Jahre erteilt. Die Zahl der erloschenen Baugenehmigungen lag nach ZIA-Angaben in den vergangenen Jahren auf einem konstant niedrigen Niveau. Im Jahr 2017 waren es rund fünf Prozent der Baugenehmigungen. Der starke Anstieg des Bauüberhangs 2017 bedeute nicht automatisch, dass Baugenehmigungen von spekulierenden Eigentümern gehortet würden. „Vielmehr lässt sich hieraus schließen, dass sich die Planungs- und Bauzeiten verlängern – etwa durch die eingeschränkten Kapazitäten der Unternehmen im Baugewerbe, aber auch durch zu späte Beteiligungsmöglichkeiten der relevanten Akteure“, sagte Mattner. Dies führe zum Anstauen der noch nicht begonnenen, aber bereits genehmigten Bauvorhaben.

Ralph Henger, Immobilienexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln ist anderer Meinung. „Heute dauert es deutlich länger als vor zehn Jahren von einer Baugenehmigung bis zur Fertigstellung eines Gebäudes. Das liegt ganz wesentlich an fehlenden Baukapazitäten. Zum kleineren Teil kommen auch Spekulationen mit in Spiel“, sagte Henger. „Für Investoren ist es in der aktuellen Boomphase nicht von Nachteil, wenn sie nach erteilter Baugenehmigung einfach noch warten mit der Fertigstellung. Nach ein, zwei Jahren können sie noch höhere Mieten oder noch höhere Kaufpreise für ein Grundstück mit Baugenehmigung erreichen.“

Ronald Rast, Geschäftsführer der Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau in Berlin, stellt gerade in den letzten beiden Jahren fest, dass immer mehr Baugenehmigungen ungenutzt bleiben. Rast schätzt ihre Zahl in Berlin aktuell sogar auf bis ein Drittel aller Baugenehmigungen. „Seit zwei Jahren lassen Baulandeigentümer das Land schon mal planen und fangen nicht innerhalb der üblichen drei Jahre mit der Bebauung an, weil auf Preissteigerungen spekuliert wird“, sagte Rast.

Die Bauwirtschaft registriere seit 2017 einen Rückgang bei den Baugenehmigungen. „Die Baukonjunktur lebt also ganz wesentlich vom Bauüberhang“, sagte Rast. Der werde noch zwei, drei Jahre andauern, doch dann werde auch die Baukonjunktur wieder abflauen. „Damit es nicht so kommt und mehr Wohnungen entstehen, brauchen wir eine steuerliche jährliche Abschreibungsrate von drei statt zwei Prozent für gut 30 Jahre und deutlich mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau.“

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