"Die FDP ist jetzt unabhängiger als jemals zuvor"

Der Parteichef Christian Lindner spricht vor dem heutigen Dreikönigstreffen in Stuttgart über die Bundespolitik und die Lage in Nordrhein-Westfalen.

Herr Lindner, dürfen sich Sternsinger das Gesicht schwärzen, um an König Caspar zu erinnern?

Lindner Eine bunter werdende Gesellschaft sollte Gelassenheit haben. Da wird nur an eine historische Tatsache erinnert.

Derzeit schlägt das Thema Zuwanderung hohe Wellen ...

Lindner Wer kommt, um zu arbeiten und Steuern zu zahlen, ist willkommen. Qualifizierte Zuwanderung ist eine der Antworten auf den drohenden Fachkräftemangel. Zuwanderung in die Sozialsysteme ist nach europäischem Recht ausgeschlossen. Horst Seehofer ist zu Recht auch aus der CDU kritisiert worden. Entweder kennt er die Rechtslage nicht oder er will die Stammtische bedienen. Beides spricht gegen ihn.

Dennoch herrscht Furcht vor einer Überbelastung der Sozialsysteme.

Lindner Die Sozialsysteme werden vor allem durch die Politik der großen Koalition belastet. Ich habe Respekt vor der Lebensleistung der älteren Generation, aber auch die Rente mit 63 muss finanziert werden. Ich bin in Sorge, dass wir in eine Schieflage zulasten der Generation unter 50 geraten.

Haben wir es mit einer sozialdemokratischen großen Koalition zu tun?

Lindner Ja. Die Union hat zwar die Wahl gewonnen, die SPD aber die Koalitionsverhandlungen. Ich bin erstaunt, wie kampflos sich die CDU/CSU von den Prinzipien bürgerlicher Politik verabschiedet hat. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will jetzt zwei Milliarden Euro mehr Schulden machen als ursprünglich von Schwarz-Gelb geplant. Das sind die Schulden für die Wahlgeschenke. Außerdem bin ich enttäuscht, dass die wirklichen Probleme nicht beherzt angepackt werden. Ein Ende der Dauersubventionen im Erneuerbare-Energien-Gesetz soll es erst 2018 geben.

Mit der FDP geht es offenbar aufwärts. Ist das der Lindner-Effekt?

Lindner Dabei geht es nicht um mich. Die FDP hat eine Chance, nachdem wir uns einer beispiellosen Selbstkritik unterzogen haben. Mir geht es darum, alte Klischees zu überwinden. Die FDP ist nicht zuerst die Partei derjenigen, die es schon zu etwas gebracht haben, sondern derjenigen, die es durch Fleiß und Sparsamkeit zu etwas bringen wollen. Wir sind die Partei, die den Bürgern und ihrer Eigeninitiative vertraut, und erst dann nach dem Staat ruft.

Ist Schwarz-Gelb im Bund auf mittlere Sicht ausgeschlossen?

Lindner Nein. Aber die FDP ist jetzt unabhängiger als jemals zuvor. Ich will das Profil als Partei der Marktwirtschaft schärfen. Bei den Bürgerrechten und dem Nein zur Vorratsdatenspeicherung haben wir einen Berührungspunkt mit den Grünen.

Sind Sie 2017 offen für eine Ampel?

Lindner Nur weil ich einen einzigen Berührungspunkt mit einer anderen Partei nenne, wollen Sie eine Koalitionsdebatte führen? Ich spreche hier ausdrücklich nur über Inhalte.

Die Düsseldorferin Agnes Strack-Zimmermann ist neue Partei-Vizin.

Lindner Ich habe sie ganz bewusst vorgeschlagen. Sie steht für eine liberale Erfolgsgeschichte. Düsseldorf hat erst seine Schulden abgebaut, um danach Freiraum für soziale Leistungen zu haben.

Was wird aus dem Landesvorsitz?

Lindner Es gibt noch keine konkreten Planungen. Wir sind in einer außergewöhnlichen Situation.

Wie stehen Sie zur NRW-CDU?

Lindner Ich komme mit Armin Laschet gut aus. Nur bin ich gespannt, wie die CDU sich im Landtag positioniert. Nach Bildung der großen Koalition konnte man feststellen, dass es hier zwischen SPD und CDU kuscheliger geworden ist. Die Union kann nicht mehr die Schuldenpolitik von Hannelore Kraft angreifen, da sie im Bund ja selbst Gefälligkeitspolitik betreibt.

Und die Ministerpräsidentin?

Lindner Ihre Hoffnung auf mehr Geld vom Bund ist in sich zusammengebrochen. Frau Kraft hatte aber Mehreinnahmen von 300 Millionen Euro eingeplant. Ich befürchte, dass SPD und Grüne anderen rot-grünen Ländern oder dem schwarz-grünen Hessen folgen werden, die die Grunderwerbsteuer erhöht haben. Das träfe vor allem junge Familien, die auf eine Wohnung sparen und mit jedem Cent rechnen müssen. Bezeichnend ist, dass nur der Finanzminister weich dementiert hat. Die Ministerpräsidentin sollte vor der Kommunalwahl Klarheit schaffen, wo die 300 Millionen Euro sonst herkommen sollen.

Ronald Pofalla geht zur Bahn ...

Lindner Für solche Wechsel brauchen wir neue Verhaltensregeln. Der Austausch zwischen Politik und Wirtschaft ist gut. Hier geht es aber um den Wechsel von der Schaltstelle der Macht in einen Staatskonzern. Das ist etwas anderes.

DETLEV HÜWEL UND HORST THOREN FÜHRTEN DAS INTERVIEW. DIE LANGFASSUNG FINDEN SIE UNTER: WWW.RP-ONLINE.DE/POLITIK

(RP)
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