Ampelkoalitionäre drücken aufs Tempo Die Phase der Verschwiegenheit sollte bald enden

Meinung | Berlin · Auf dem Weg zur Ampelkoalition wollen SPD, Grüne und FDP jetzt nichts mehr falsch machen: Sie machen Tempo. Und bisher zeigen sie größte Disziplin beim Verschweigen. Diese Phase sollte bald beendet werden, denn die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wohin eine mögliche künftige Regierung das Land führen will.

 FDP-Generalsekretär Volker Wissing (von links nach rechts), SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Dienstag in Berlin.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing (von links nach rechts), SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Dienstag in Berlin.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Am Freitag könnte für SPD, Grüne und FDP und damit auch für die politische Zukunft des Landes bereits die „Stunde der Wahrheit“ schlagen. So jedenfalls darf man die Worte des FDP-Generalsekretärs nach der dritten Sondierungsrunde der möglichen Ampelkoalitionäre an diesem Dienstag verstehen. Die Parteien wollen die Ergebnisse ihrer bisherigen Gespräche zu Papier bringen – um auf dieser Grundlage dann über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden.

Kommt es so, haben sich SPD, Grüne und FDP sehr beeilt und keine unnötige Zeit nach der Bundestagswahl verstreichen lassen. Die schnelle Entscheidung für Koalitionsverhandlungen wäre auch bereits eine Vorentscheidung über die nächste Bundesregierung. Dass die Liberalen wie 2017 noch einmal ausscheren, ist schwer vorstellbar. Und SPD und Grüne sind ohnehin Wunschpartner. Auch sie dürften ein sozialliberales Bündnis mit grünem Anstrich nicht mehr verhindern. Die FDP hätte erstmals seit 1982 wieder das Lager gewechselt. Die angeschlagene Union mit ungewisser Zukunft erscheint ihr zu Recht als nicht regierungsfähig.

Damit auf dem Weg zur Ampel nichts schief geht, haben die Parteien strengste Vertraulichkeit vereinbart. Bisher zeigen sie dabei große Disziplin, Inhaltliches dringt nicht nach außen. Wer plaudert, darf Ambitionen auf einen Job in der nächsten Regierung offenbar begraben. Das Schweigekartell zahlt sich für die Betroffenen zumindest bisher aus: Die Gesprächsatmosphäre sei offen und ehrlich, ist zu hören. Für das Gelingen einer komplizierten Dreierkonstellation ist anfängliche Verschwiegenheit unerlässlich. Ohne sie würde der Versuch der Kompromissbildung bei den größten Unterschieden wohl nicht gelingen, denn alles würde in der Öffentlichkeit zerredet. Zudem entsteht nur so gegenseitiges Vertrauen. Die Phase der Verschwiegenheit sollte aber unbedingt begrenzt bleiben. Andernfalls würde in der Öffentlichkeit der ohnehin verbreitete Eindruck der elitären Kungelei bestätigt und verstärkt.

Die größten Hürden muss die Ampel beim Thema Finanzen überwinden. Die Grünen dringen auf eine höhere Neuverschuldung und Aufweichung der Schuldenbremse, die FDP lehnt Letzteres ab, die SPD sitzt dazwischen. Ein Ausweg könnte sein, das Jahr 2022 für eine einmalige starke Erhöhung der Neuverschuldung zu nutzen und das geliehene Geld für Investitionen in der Zukunft zu reservieren. Auch könnte die Regierung Investitionsgesellschaften nutzen, die sich im Auftrag des Bundes verschulden, so dass die Schuldenbremse rechtlich nicht tangiert würde.

Beide Wege wären aber im Grunde nichts anderes als die Umgehung der Verfassungsregel. Doch wenn die Ampel verlässlich festschreiben würde, dass das zusätzlich geliehene Geld ausschließlich in neue Investitionen fließt und die Kreditaufnahme mit der Überprüfung sämtlicher Ausgaben des Bundes verknüpft wird, könnten wohl auch die FDP und so mancher Kritiker der Aufweichung über die Hürde springen. Wenn fest stünde, dass die Regierung keine Kredite nutzt, um etwa Löcher in der Sozialversicherung zu stopfen, könnte vor allem der bedrohliche Klimawandel die zusätzliche Kreditaufnahme rechtfertigen.

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