Fragen und Antworten zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst Gewerkschaften fordern mehr als zehn Prozent Lohnplus für Millionen Staatsbedienstete

Analyse | Berlin · Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund fordern für 2,5 Millionen Angestellte bei Bund und Kommunen und für Hunderttausende Beamte ein kräftiges Gehaltsplus. Jetzt hat die erste Tarifrunde begonnen. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 Verdi-Chef Frank Werneke im Sommer 2022 bei einer Protestaktion seiner Gewerkschaft in Düsseldorf.

Verdi-Chef Frank Werneke im Sommer 2022 bei einer Protestaktion seiner Gewerkschaft in Düsseldorf.

Foto: dpa/Malte Krudewig

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Beamtenbund fordern für 2,5 Millionen Angestellte bei Bund und Kommunen sowie Hunderttausende Beamte ein kräftiges Gehaltsplus von über zehn Prozent. Kommt die Arbeitgeberseite ihnen nicht entgegen, drohen empfindliche Warnstreiks in den kommenden Wochen. In Potsdam beginnt am Dienstag die erste Tarifrunde. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Tarifverhandlungen im Überblick.

Was fordern Verdi und der Beamtenbund?

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund (dbb) fordern für eine Laufzeit von zwölf Monaten 10,5 Prozent mehr Lohn, monatlich jedoch mindestens 500 Euro mehr. Die Verdi-Forderung gilt für die rund 2,5 Millionen Angestellten des Bundes und der Kommunen. Der Tarifabschluss wird üblicherweise auf die Beamten übertragen. Nach Verdi-Angaben wirkt sich ein Tarifabschluss auf 2,4 Millionen Angestellte der Kommunen, 160.000 Angestellte des Bundes, 360.000 Bundesbeamte und 180.000 Versorgungsempfänger aus. 2020 hatten sich die Tarifparteien zuletzt auf ein Plus von 4,5 Prozent geeinigt.

Wie begründen die Gewerkschaften ihre Forderung?

Der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach erklärte, „der Preisanstieg ist real, die Arbeitsverdichtung ist real, der Personalmangel ist real“. Deshalb sei auch die Lohnforderung „real und angemessen“. Es gehe aber um mehr: „Angesichts der Nachwuchskrise und der Überalterung des öffentlichen Diensts müssen wir dringend attraktiver und wettbewerbsfähiger auf dem Arbeitsmarkt werden.“ Auch die gestiegenen Anforderungen in der Verwaltung etwa wegen der Einführung des Bürgergeldes und der Ausweitung der Wohngeld-Berechtigten werden zur Begründung herangezogen, weil sie zu Mehrbelastungen führen.

Wir reagiert die Arbeitgeberseite?

Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) wies die Tarifforderung bereits als „inakzeptabel und nicht leistbar“ zurück. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagte, die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst seien gut, die Bezahlung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Da mit einer Rezession zu rechnen sei, dürften die Steuereinnahmen der Kommunen zurückgehen. „Gleichzeitig sind viele Städte und Gemeinden dramatisch verschuldet“, warnte er, fügte aber auch hinzu: „Natürlich wird es einen Gehaltszuwachs geben müssen, da auch die Beschäftigten unter der hohen Inflation leiden.“ Es gehe um einen Abschluss „mit Augenmaß“.

Wann sind Fortschritte zu erwarten?

VKA-Präsidentin Karin Welge (SPD) erklärte, eine Schlichtung erst im April solle vermieden werden: „Wir haben die feste Absicht, einen Abschluss aus eigener Kraft spätestens in der dritten Runde zu erreichen.“ Die dritte Verhandlungsrunde ist für 27. bis 29. März geplant.

Wer verhandelt? Verhandlungsführerin für den Bund ist Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), für die Kommunen VKA-Präsidentin Welge, die Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen. Für Verdi führen die Verhandlungen der Vorsitzende Frank Werneke und Vize-Chefin Christine Behle. Zudem sitzt DBB-Chef Silberbach mit am Tisch in Potsdam.

Wann und wo drohen Warnstreiks?

„Wenn es nötig ist, dann streiken wir“, sagte Verdi-Chef Werneke am Montag. Wie wahrscheinlich das sei, hänge von den Arbeitgebern ab. Verhandelt wird über die Einkommen von Müllwerkern, Erzieherinnen, Krankenschwestern, Juristen, Busfahrern. Tausende Berufe sind betroffen – auch Feuerwehrleute, Altenpflegerinnen, Klärwerksmitarbeiter, Förster und Ärzte. Entsprechend groß könnten Auswirkungen von Warnstreiks sein. Bei der bisher letzten Tarifrunde für Bund und Kommunen waren 2020 unter anderem Kliniken, Kitas, Nahverkehr oder Sparkassen von Ausständen und Protestaktionen betroffen. Da die Corona-Pandemie als nahezu überwunden gilt, sind in diesem Frühjahr deutlich mehr Warnstreiks zu erwarten als 2020.

Wer bezahlt die höheren Gehälter?

Da sie aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden, zahlt sie am Ende der Steuerzahler. Laut VKA würden die Kosten für das geforderte Lohnplus bei den kommunalen Arbeitgebern mit rund 15,4 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Beim Bund wären laut Innenministerium Mehrkosten von rund 1,4 Milliarden Euro pro Jahr die Folge, bei Übertragung auf die Beamten, Richter und Soldaten von 4,7 Milliarden. Steuerzahlerpräsident Reiner Holznagel forderte die Tarifpartner daher zu einem maßvollen Tarifabschluss auf. „Ich appelliere an die Vernunft der Tarifpartner, die Tarifverhandlung mit Augenmaß zu führen. Schließlich steckt der Bund tief in der Verschuldung, auch die Kommunen leiden unter drückenden Ausgaben", sagte er unserer Redaktion. „Allein der Bund hat für die aktuelle Tarif- und Besoldungsrunde schon drei Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2023 ins Schaufenster gestellt", sagte er. „Ich betone: Vorsorge ist zwar richtig, aber überzogene Tarifabschlüsse mit anschließender Übertragung auf die immer größer werdende Beamtenschaft führen zwangsläufig entweder zu höheren Schulden oder steigenden Steuerlasten für Bürger und Betriebe", warnte der Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Wie bewerten Ökonomen die Lohnforderung?

Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, kritisierte die Höhe der Lohnforderung. „Auch für den öffentlichen Dienst steht die steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3000 Euro im Jahr zur Verfügung", sagte Hüther. „Deshalb sollte ein Tarifabschluss in diesem Bereich wie auch in den zentralen Wirtschaftsbereichen (Metall- und Elektro, Chemie) Einmalzahlung und tabellenwirksame Erhöhung kombinieren. Die Forderung von 10,5 Prozent ist allerdings auch dann weit von einer realistischen, weil tragfähigen Gesamterhöhung entfernt", sagte der Direktor des arbeitgebernahen Instituts. „Es wird auch darauf ankommen, wie man das zeitlich strukturiert. Ein Inflationspush sollte aus dem Ergebnis dann nicht drohen", sagte Hüther.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort