Neues außenpolitisches Konzept SPD bricht mit früherer Nähe zu Russland

Berlin · Die SPD galt lange als russlandfreundlich und rüstungskritisch. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wirft sie nun ihre bisherigen außenpolitischen Grundsätze zum Teil über den Haufen. Bis Ende des Jahres soll ein neues Konzept stehen.

 Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, Neuausrichtung der SPD-Außenpolitik.

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender, Neuausrichtung der SPD-Außenpolitik.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Schon jetzt verspricht der SPD-Parteitag im Dezember spannend zu werden. Denn dort will die SPD, mittlerweile wieder Kanzlerpartei, nicht weniger tun, als mit jahrzehntealten Traditionen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu brechen. SPD-Chef Lars Klingbeil hat an diesem Montag Grundzüge dafür vorgestellt, ausgearbeitet von einer internen Kommission. Ihr Job: bis Jahresende ein fertiges Konzept vorlegen. Die Grundidee: Deutschland soll nach langer Zurückhaltung künftig eine Führungsrolle in der Welt übernehmen. Militär will die Parteispitze in Zukunft als Mittel der Friedenspolitik verstehen – und hält eine Kehrtwende im Verhältnis zu Russland für überfällig.

Schon die 25 Seiten des nun von Klingbeil vorgestellten ersten Konzeptpapiers haben es teils in sich. So gesteht die SPD darin teils schwere Fehler ein angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, der mittlerweile fast ein Jahr lang tobt. „Einige Länder Europas und vor allem Deutschland haben zu lange ausschließlich auf eine kooperative Zukunft mit Russland gesetzt und dabei versäumt, Szenarien für einen anderen Umgang mit Russland zu entwickeln“, heißt es etwa im Papier. Deutschland habe nicht ausreichend auf die autokratischen Entwicklungen in Russland und dessen immer aggressiveres Auftreten in der Außenpolitik reagiert. „Das Festhalten an der Annahme, mit immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen langfristig zu einer Demokratisierung und Stabilisierung Russlands beizutragen, war ein Fehler“, heißt es im Kommissionspapier. Stattdessen habe Deutschland sich energiepolitisch in eine einseitige Abhängigkeit von Russland begeben, die die sicherheitspolitische Dimension seiner Energieversorgung verkannt habe. „Solange das Putin-Regime sein imperialistisches Ziel der Eroberung und Unterdrückung souveräner Staaten verfolgt, kann es keine Normalisierung des Verhältnisses zu Russland geben“, schreiben die Autoren. „Langfristig halten wir am Ziel einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa fest. Das wird erst dann funktionieren, wenn auch Russland wieder ein Interesse daran hat und Grundprinzipien der regelbasierten Ordnung anerkennt. Klar ist: Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen“, heißt es im Papier.

Klingbeil hatte die Debatte über eine Neuausrichtung demokratischer Außenpolitik bereits im vergangenen Jahr mit zwei Grundsatzreden angestoßen. Darin hatte er gefordert, dass Deutschland den Anspruch einer „Führungsmacht“ verfolgen und das Militär als ein Mittel der Politik verstehen sollte. Klingbeils Begriff der „Führungsmacht“ taucht in dem Papier jedoch nicht auf, er war beim linken Flügel der Partei auf Vorbehalte gestoßen.

Dafür ist nun von einer deutschen „Führungsrolle“ die Rede. „Ein kooperativer Führungsstil ist ein moderner Führungsstil und die Antwort auf eine Welt im Umbruch“, heißt es. Führung bedeute nicht, dass sich Deutschland über andere hinwegsetze, sondern mit Initiativen vorangehe um gemeinsame Ziele zu erreichen. Für viele Staaten der Welt sei Deutschland ein wichtiger Partner. „Und genau deshalb erwarten sie, dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsrolle einnimmt.“

Die Sozialdemokraten betonen, dass eigene wirtschaftliche, militärische und soziale Stärke die Grundvoraussetzung für ein Leben in Wohlstand, Freiheit und Frieden für die Bürgerinnen und Bürger Europas sei. „Europa muss seine Rolle als geopolitischer Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investieren“, heißt es darin.

Doch um den europäischen Zusammenhalt ist es angesichts des Streits um die militärischen Hilfen für die Ukraine mitunter nicht gut bestellt. Und auch innerhalb der Bundesregierung wachsen die Spannungen mit Blick auf die Debatte um Kampfpanzer-Lieferungen an die Ukraine. Klingbeil kritisierte nun „Querschüsse“ von Politikern der FDP und der Grünen und legte den Parteiführungen der Koalitionspartner eine Intervention nahe. „Ich weiß, was ich als Parteivorsitzender machen würde, wenn aus meiner Partei andauernd solche Querschüsse kommen“, sagte er. „Da würde ich mit den entsprechenden Leuten mal reden. Das wirft ja auch kein gutes Licht auf die eigene Parteiführung, wenn da andauernd welche so unterwegs sind.“ Der größte Gefallen, den man Wladimir Putin tun könne sei, dass man sich im westlichen Bündnis, in der deutschen Politik gerade auseinanderdividiere. In den vergangenen Tagen war der Streit in der Koalition über die Lieferung von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 eskaliert. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, bezeichnete die Kommunikation des Kanzlers in der Panzer-Frage als „Katastrophe“. Grünen-Chef Omid Nouripour konterte jedoch Klingbeils Kritik und sagte, die Parteivorsitzenden müssten ihre Parteien führen, wie sie es für richtig erachteten.

(jd/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort