Grünen-Parteitag in Berlin beginnt Denkmodell Schwarz-Grün

Berlin · Heute beginnt der Parteitag, auf dem die Grünen ihr Wahlprogramm festlegen wollen. Besonders umkämpft ist darin die Präambel, in der sich die Öko-Partei weitgehend auf ein rot-grünes Bündnis festlegt. Vielen "Realos" geht das zu weit.

10 Themen des Grünen-Parteitags in Berlin
Infos

10 Themen des Grünen-Parteitags in Berlin

Infos
Foto: dpa, Stefan Puchner

Die Grünen sind immer wieder für Debatten gut, die sonst kein Mensch geführt hätte. Auf dem heute beginnenden Parteitag in Berlin werden sich die Delegierten ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, ob der Begriff "Gutverdienende" diskriminierend ist. Es gibt einen Antrag für die Bundesdelegiertenkonferenz, der fordert, dass dieser Begriff aus dem Wahlprogramm gestrichen werde mit dem Verweis, er komme dem negativ besetzten Begriff der "Besserverdienenden" zu nah.

Der Streit über diese Begriffe ist ein Synonym für den Richtungsstreit in der Partei. Vor allem der rechte Flügel der "Realos" fragt sich: Wie stark wollen die Grünen noch nach links rücken? Sollten sich die Grünen wirklich jede Option auf ein schwarz-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl verbauen? Und wie sehr wollen die Grünen als künftige Regierungspartei die so genannten Besserverdienenden, von denen sehr viele zu ihrer Wählerklientel zählen, mit höheren Steuern und Abgaben belasten? Wie wirtschaftsnah ist die Partei heute überhaupt?

Umfragewerte lassen Wunschkoalition unwahrscheinlich werden

Unstrittig bei allen Grünen ist zwar, dass sie am liebsten eine Koalition mit der SPD eingehen wollen. Für morgen haben sie sogar den Parteichef der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, als Redner zum Parteitag eingeladen. Doch die Umfragewerte lassen die Wunschkoalition unwahrscheinlich werden. Der unglücklich agierende SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sorgt zudem bei vielen Grünen für Frust und Unmut.

So schwelt trotz der gegenseitigen Solidaritätsbekundungen von SPD und Grünen bei ihren Parteitagen die Debatte um Schwarz-Grün. Bei dem jetzigen Parteitag steht eine Auseinandersetzung bevor, ob sich die Grünen explizit in der Präambel ihres Wahlprogramms nur auf die SPD festlegen sollten. Den Gegnern einer Festlegung spült eine neue Forsa-Umfrage von dieser Woche Wasser auf die Mühlen: Eine knappe Mehrheit der Grünen-Wähler von 54 Prozent würde demnach ein Bündnis mit der Union befürworten. Von den Unionswählern könnten sich sogar 65 Prozent für eine schwarz-grüne Koalition im Bund erwärmen.

Union: Wichtige Unterschiede bereits aus dem Weg geräumt

Doch niemand in der Grünen-Spitze will diese Option vor der Wahl öffentlich in Erwägung ziehen, nicht einmal die eher konservative Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Unbeschwerter kann sich dazu einer wie das Grünen-Urgestein Daniel Cohn-Bendit äußern. "Ich will Rot-Grün, das steht außer Frage. Wegen der Schwäche der Steinbrück-SPD sinkt aber mein Optimismus. Wir dürfen deshalb nicht verschweigen, dass Schwarz-Grün unter bestimmten Bedingungen eine reale Option ist", sagte der 68-Jährige der "Bild"-Zeitung. Bedingungen seien beispielsweise, dass die Grünen das Finanz- und Energieministerium in einer schwarz-grünen Koalition erhielten und die Union sich bei der Homo-Ehe und dem Mindestlohn auf die Grünen zubewege.

Mit dem Atomausstieg und der Abschaffung der Wehrpflicht hat die Union unter Angela Merkel wichtige Unterschiede zu den Grünen bereits aus dem Weg geräumt. Mit der Union können die Grünen zudem ihr Ziel der konsequenten Haushaltskonsolidierung eher einlösen als mit der SPD, die stets eine Schwäche für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme hat. Umgekehrt schätzen viele Unionspolitiker an den Grünen, dass diese ein Herz für Natur und Schöpfung bewahrt haben.

Knackpunkt Steuerpolitik

Allerdings drohen viele der auf dem Parteitag anstehenden steuerpolitischen Beschlüsse jede schwarz-grüne Option zunichte zu machen. Der linke Flügel der Partei will etwa neben der bisher schon verabredeten, auf zehn Jahre befristeten Vermögensabgabe gleichzeitig auch noch eine Vermögensteuer für Millionäre einführen. Der Parteitag dürfte die parallele Einführung von Abgabe und Steuer zwar abschmettern, doch schon die geplante Abgabe von jährlich 1,5 Prozent auf Vermögen von über einer Million ist ein rotes Tuch für die Unionsparteien. Die Einnahmen aus der Abgabe von schätzungsweise 100 Milliarden Euro wollen die Grünen in den Schuldenabbau stecken. Streit gibt es darüber, ob das Geld allein dem Bund oder auch den Ländern beim Schuldenabbau helfen soll.

Beim Ehegattensplitting kommen Grüne und Union eher nicht zusammen: Die Grünen wollen den Splittingvorteil für neue Ehen abschaffen. Auch für bestehende Ehen, die ein Familieneinkommen von mehr als 60.000 Euro im Jahr haben, soll der Vorteil schrittweise abgebaut werden. Ziel der Grünen ist es, den Anreiz für Ehefrauen, möglichst einem Vollzeitjob nachzugehen, zu erhöhen — und zugleich mehr Mittel für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung zu haben.

Kretschmann warnt vor unvertretbaren Belastungen

Die Forderungen nach zusätzlichen Belastungen der Besserverdienenden und der Betriebe riefen die wirtschaftsfreundlicheren Realos auf den Plan, allen voran den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. In einem Schreiben an die Grünen-Spitze warnte er vor unvertretbaren Belastungen für die Wirtschaft. Dem Vernehmen nach löste der Brief bei Spitzenkandidat Jürgen Trittin eine wütende Reaktion aus. Seine Antwort fiel geharnischt aus. Immerhin konnte sich Realo-Frau und Vize-Fraktionschefin Kerstin Andreae mit einer Forderung durchsetzen: Im Wahlprogramm wollen die Grünen darauf verweisen, dass sie bei ihren Plänen die Gesamtbelastung für Bürger und Wirtschaft im Auge behalten wollen.

Der Partei steht am Wochenende ein regelrechter Abstimmungsmarathon bevor. Insgesamt liegen 2600 Änderungsanträge vor. Rund 90 Themen gelten als strittig. Viele Anträge beschäftigen sich aber auch einfach nur mit stilistischen und grammatikalischen Fragen — oder eben mit der Frage, ob der Begriff "Gutverdienende" aus dem Wahlprogramm gestrichen werden soll.

(mar / qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort