Analyse zum "Euro-Hawk"-Desaster Bohrende Fragen an de Maizière

Berlin · Das verzögerte Aus für das Milliardenprojekt "Euro Hawk" und der Verdacht auf Verschweigen und Vertuschen gegenüber Parlament und Rechnungshof könnte einen Untersuchungsausschuss notwendig machen.

Wenn's einmal schief läuft, dann aber richtig. So muss sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) beim Blick auf seine täglich prekärer werdende öffentliche Rolle beim geplatzten Drohnen-Projekt "Euro Hawk" vorkommen. In Bundeswehr-Kreisen läuft die Affäre längst unter der spöttischen Bezeichnung "T€uro Hawk", weil hier mehr als eine halbe Milliarde Euro an Entwicklungskosten vorerst versenkt wurde. Und nun kommt heraus, dass de Maizière nicht nur ein wackeliges Vorhaben von seinen Vorgängern geerbt, sondern selbst möglicherweise nicht genau genug hingeschaut hat.

Wiewohl das Ministerium spätestens seit 2011 von den Problemen wusste, für Deutschland eine Zulassung zu bekommen, lief die Entwicklung ungebremst weiter. Und zum großen Ärger des Verteidigungsausschusses auch nahezu vollständig an der parlamentarischen Aufsicht vorbei. Staunend erfuhren die Verteidigungsexperten am Wochenende, dass der groß als "Meilenstein der Luftaufklärung" gefeierte Überführungsflug von Kalifornien nonstop ins bayerische Manching eigentlich Anlass gewesen wäre, alle Alarmglocken zu läuten: Der Pilot verlor mehrmals den Kontakt zu der Drohne. Der "Euro Hawk" von der Größe eines Airbus war unkontrolliert in 20 Kilometern Höhe allein unterwegs — und als er auf dem Kontrollschirm wieder auftauchte sogar vom Kurs abgewichen.

Auch die Vorgänger sind verantwortlich

Damit hatten die Deutschen den Beleg, warum amerikanische Prüfer die Einsatzfähigkeit der Baureihe in Zweifel gezogen und die US-Behörden die Überflugrechte über Land verweigert hatten. Den Verteidigungsausschuss erreichten diese Schilderungen nicht. Er stand weiter hinter dem "Euro Hawk" als dringend notwendigem Ersatz für das inzwischen ausgemusterte Aufklärungsflugzeug Breguet Atlantique. Und so verteuerte sich das unter Peter Struck (SPD) gestartete und unter Franz Josef Jung (CDU) und Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) munter forcierte Projekt unter der Verantwortung von Thomas de Maizière um weitere 100 Millionen Euro.

Peinlicherweise legte de Maizière wenige Tage vor dem offiziell verkündeten Abbruch des Projektes dem Bundeskabinett noch eine Liste mit den "strukturrelevanten Hauptwaffensystemen der Bundeswehr" auf den Tisch. Mehrere lange verfolgte Waffensysteme hatte de Maizière darin mit zwei oder drei Sternchen gekennzeichnet als "zunächst keine Beschaffung" oder "keine Beschaffung". Doch sowohl beim "Euro Hawk" als auch beim "Global Hawk" fehlten die Einschränkungen. Lediglich die unbedingt nötige Stückzahl war für beide Versionen von elf auf neun reduziert worden. Hinweise auf Zweifel? Fehlanzeige.

Stattdessen war der Minister auf dem Weg in die andere Richtung. Neben diesen unbemannten Drohnen hatte er sich zusätzlich auf die Anschaffung bewaffneter Drohnen festgelegt. Nachdem die Wellen darüber in der Öffentlichkeit hoch gegangen waren, hatte de Maizière entschieden, einen konkreten Beschaffungsantrag zwar nicht mehr vor den Bundestagswahlen dem Bundestag vorzulegen. Doch die Grundsatzentscheidung wollte er gleichwohl noch im Frühsommer treffen. Unter den inzwischen noch zu klärenden Fragen nannte er selbst auch die Voraussetzungen für eine Zulassung.

Die "Reißleine"

Die ist beim "Global Hawk" und seiner europäischen Variante "Euro Hawk" nahezu aussichtslos, so lange das System nicht nur Videobilder übermittelt, die den Piloten am fernen Bildschirm zumindest "auf Sicht" fliegen lassen, sondern auch über ein automatisches Wahrnehmungs- und Ausweichsystem verfügt. Das aber nachträglich zu entwickeln und in den "Euro Hawk" einzubauen, hätte mindestens eine weitere halbe Milliarde Euro gekostet. Und so zog dann Verteidigungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans kurz vor der Sitzung des Verteidigungsausschusses am vergangenen Mittwoch die "Reißleine".

Die Politik beruhigte das in keiner Weise. Nun wurden die Verteidigungsexperten erst recht misstrauisch, warum dieser glasklare Zusammenhang zwischen Zulassungsbedingungen und Scheitern so plötzlich erst erkannt worden sein soll, wo doch alles seit 2004 auf gutem Weg zu sein schien. Und sie erinnerten sich, dass sich der Bundesrechnungshof schon einmal darüber mokiert hatte, den "Euro Hawk" nicht richtig prüfen zu können. Als das Verteidigungsministerium die Kontrolleure ran ließ, waren wichtige Details aus Geheimhaltungsgründen geschwärzt. Und damit konnte zumindest das finanzielle Frühwarnsystem nicht arbeiten. Laut einem Bundestags-Rechtsgutachten verstieß das Verteidigungsministerium damit gegen die einschlägigen Vorschriften.

Weshalb die Geheimhaltung vor dem Rechnungshof?

Im Ministerium wird nun darauf verwiesen, dass die Spitze des Hauses durchaus verfügt habe, dem Rechnungshof das ungeschwärzte Dossier zur Prüfung vorzulegen, dass aber eine nachgeordnete Stelle die Geheimhaltung durchgesetzt haben soll. Das würde freilich das Funktionieren des Hauses hinterfragen. Und so wird der Ruf nach gründlicher Aufklärung immer lauter: Sollte hier etwas systematisch auf Kosten der Steuerzahler vertuscht werden? Wollte das Verteidigungsministerium die sich häufenden Warnhinweise verschweigen? Wann wusste wer wie viel? Und warum erreichte davon so wenig den zuständigen Ausschuss?

De Maizière will Anfang Juni chronologisch darlegen, wie die Entwicklung des Projektes verlief und warum sein Haus lange darauf setzte, die Zulassung doch noch bekommen zu können. Seine eigene Fraktion stellt sich sicherheitshalber schon einmal hinter ihn: Er werde sicherlich alles aufklären. Bei den anderen wachsen die Zweifel. Und so ist absehbar, dass die Drohne das Zeug zu einem veritablen neuen Untersuchungsausschuss hat.

(may-)
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