Analyse Deutschland ist in der Uno ein Zwerg

Düsseldorf · Vor 40 Jahren wurde Deutschland, damals noch aufgeteilt in zwei Staaten, Mitglied der Vereinten Nationen. Bei der Uno lobt man das deutsche Engagement, aber faktisch fehlt der Wille, eine weltpolitische Rolle zu übernehmen.

Der "Raum der Stille" liegt direkt neben dem nüchternen Sitzungssaal des Sicherheitsrats im klobigen UN-Hauptquartier in New York. Hierher ziehen sich die Vertreter der Staaten gerne für diskrete Gespräche und Verhandlungen zurück. Künftig können sie dies in der Kulisse des "deutschen Waldes" tun. Unter diesem romantischen Motto wurde der Ende der 70er Jahre eingerichtete Raum jetzt auf deutsche Kosten renoviert. Gestern übergab Deutschlands UN-Botschafter Peter Wittig die Installation feierlich an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Anlass waren 40 Jahre deutsche UN-Vollmitgliedschaft, und treffender als mit einem kontemplativen "Raum der Stille" hätte man dieses Jubiläum kaum begehen können.

Am 18. September 1973 wurde Deutschland in die Uno aufgenommen, damals noch in Gestalt zweier deutscher Staaten. Seit 1990 vertritt allein die Bundesrepublik das wiedervereinigte Deutschland, aber an den weltpolitischen Ambitionen der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt hat das kaum etwas verändert — sie sind gleich null.

Zwar lobte der UN-Generalsekretär zum Jubiläum das deutsche Engagement in den höchsten Tönen: Deutschland ist mit jährlich 8,6 Prozent Anteil (rund 104 Millionen Euro) nach den USA und Japan der drittgrößte Beitragszahler zum regulären Haushalt der Vereinten Nationen. Hinzu kommen weitere 326 Millionen Euro, mit denen Berlin insbesondere Blauhelm-Missionen unterstützt. Das Scheckheft sitzt also locker, außerdem arbeiten Zehntausende Deutsche weltweit als UN-Helfer; deutsche Diplomaten werden am East River für ihre Fachkenntnis geschätzt.

Das ist alles sehr verdienstvoll, lässt sich aber leider nicht in signifikanten Einfluss auf der internationalen Bühne ummünzen. Deutschland wird vorwiegend als Geldautomat der Uno empfunden, als eine etwas größere Version der Schweiz unfähig, ja unwillig, eine seiner Größe und wirtschaftlichen Bedeutung angemessene Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.

Vor allem die deutsche Unlust, notfalls auch militärisch Verantwortung zu übernehmen, konterkariert den von Berlin seit Jahren wie eine Monstranz vorangetragenen Anspruch auf einen Sitz als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Hierzulande gilt es vielen als obszön, das so offen auszusprechen, aber zum Eintrittsticket in diesen engsten Machtzirkel gehören nun einmal auch militärische Stärke und die Bereitschaft, Truppen einzusetzen. "Ohne geht es nicht", sagt der amerikanische Politologe und UN-Experte Thomas G. Weiss. "Bedauern Sie es oder nicht, aber so tickt die Welt."

Eine ganze Weile lang hatten vor allem Deutschlands westliche Partner erwartet, Europas wirtschaftlicher Riese würde allmählich auch in eine robustere internationale Führungsrolle hineinwachsen und dabei seinen Anteil an der sicherheitspolitischen Bürde schultern, wie es die Bundeswehr-Beteiligung an den Balkan-Missionen in den 90er Jahren zu signalisieren schien. Doch die Erwartung wurde enttäuscht. Die beinahe systematische Verweigerung deutscher Militäreinsätze, einzig durchbrochen durch den Sonderfall Afghanistan im Gefolge der Attentate vom 11. September 2001, beraubt Deutschland seither jeder Machtoption. Die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat bei der Libyen-Abstimmung 2011 und das Lavieren bei der Mali-Intervention im Jahr darauf haben den Eindruck verfestigt, dass auf Deutschland nicht zu zählen ist, wenn es hart auf hart kommt.

Hinter den Kulissen gibt es viel Kopfschütteln über diese deutsche Haltung, die im amtierenden Bundesaußenminister ihren perfekten Vertreter gefunden hat. Guido Westerwelle ist stets einer der ersten, der im schönsten Diplomatensprech die Ungerechtigkeiten und Verbrechen dieser Welt geißelt, um dann sofort zu mahnen, es könne nur eine "politische Lösung" geben. Er spricht damit sicherlich für eine Mehrheit der Deutschen, die es sich nur zu gerne in der Gewissheit bequem macht, dass moralisch einwandfreies Handeln in den meisten weltpolitischen Krisen ja leider unmöglich ist, und daraus den Schluss zieht, lieber gar nichts zu tun.

Angeblich, so behaupten es jedenfalls die Apologeten dieser selbstzufriedenen Nichteinmischungspolitik, kann Deutschland aufgrund seiner militärischen Zurückhaltung umso besser hinter den Kulissen vermitteln. Wie wenig man indes aus der Position des ehrlichen Maklers bewirken kann, der als weltpolitischer Player nicht für ganz voll genommen wird, hat die Bundeskanzlerin unlängst auf dem G 20-Gipfel in Sankt Petersburg erfahren dürfen — dort blieben die Sicherheitsratsmitglieder unter sich, als es um Syrien ging.

Reicht es denn nicht, nett, hilfsbereit und bescheiden zu sein? Es ist jedenfalls mit Risiken verbunden. Japan ist ein aktuelles Beispiel dafür, was passieren kann, wenn sich eine Handelsnation allein auf ihre ökonomischen Interessen konzentriert und sich aus allen weltpolitischen Händeln heraushält. Seit in der Region die Spannungen mit China zunehmen, ist man sich in Tokio schmerzhaft bewusst geworden, wie gering das eigene politische Gewicht im internationalen Maßstab ist. Zu glauben, mit wirtschaftlicher Stärke, mit "Soft Power" allein, ließe sich Einfluss in der Welt auf Dauer sichern, ist naiv. Wer mitreden will, muss auch unbequeme Positionen beziehen — und handeln.

Das Bewusstsein dafür geht in Deutschland zusehends verloren. Außenpolitische Expertise gilt nicht länger als karriereförderlich, das große Wort führen andere. Heute garantiert uns unser ökonomischer Rang noch ein Mitspracherecht bei Fragen von globaler Tragweite, aber das wirtschaftliche Gewicht Deutschlands dürfte in den kommenden Jahrzehnten schwinden. Es ist von strategischer Bedeutung, sich auf diesen absehbaren Bedeutungsverlust bereits jetzt vorzubereiten.

(RP)
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