Washington Amerika rätselt über den Todesschützen

Washington · Warum hatte ein Mann, der im Jähzorn schnell zur Waffe griff, jederzeit Zugang zu einer der bestbewachten Militärbasen?

Aaron Alexis meditierte in einem buddhistischen Tempel, er lernte Thai, um sich mit eingewanderten Freunden verständigen zu können, und in dem Restaurant, in dem er eine Zeit lang kellnerte, mochten ihn die Gäste wegen seines schlagfertigen Humors. Doch wenn ihn der Jähzorn packte, griff er zur Waffe, um andere einzuschüchtern.

Das Puzzle, das Verwandte, Freunde und Bekannte aus etlichen Episoden zusammensetzen, es lässt an Dr. Jekyll und Mr. Hyde denken, an Robert Louis Stevensons Geschichte über den hilfsbereiten Arzt, hinter dessen freundlicher Fassade sich ein aufbrausender Bösewicht verbirgt. Wieder einmal studieren die Amerikaner die gespaltene Persönlichkeit eines Amokläufers. Neun Monate nach der Tragödie von Newtown, wo der scheue Adam Lanza 20 Schulkinder erschoss, sucht das Land wieder einmal nach dem Motiv für etwas Unergründliches.

Diesmal geht es noch um etwas anderes, nämlich um die Effizienz eines nach der Terrorkatastrophe vom 11. September 2001 enorm aufgeblähten Sicherheitsapparats. Bei Routinechecks fielen Alexis' mentale Probleme durchs Raster, obwohl es an Hinweisen nicht fehlte. Als vertrauenswürdig eingestuft, hatte er freien Zugang zur Navy Yard, einer der größten und bestbewachten Militärbasen der Hauptstadt, wo er am Montag zwölf Mitarbeiter tötete und dann von der Polizei erschossen wurde. Was ihn dazu trieb, kann niemand sagen.

Noch will das FBI einen terroristischen Hintergrund nicht völlig ausschließen, glaubhafter aber klingt die These, wonach sich der Afroamerikaner herabgesetzt fühlte, benachteiligt auch wegen seiner Hautfarbe. Zuletzt arbeitete der IT-Spezialist freiberuflich für "The Experts", einen Subunternehmer, der im Auftrag des Konzerns Hewlett-Packard die Rechner im Flottenkomplex auf den neuesten Stand bringen sollte.

Alexis soll geklagt haben, dass er mit einem zu niedrigen Honorar abgespeist werde, sagt einer, der sich ein Zimmer mit ihm teilte. Fest steht, dass der Schütze allein handelte, als er aus der vierten Etage eines Büroklotzes eine Kantine im Innenhof ins Visier nahm.

Ins streng bewachte Hauptquartier des Naval Sea Systems Command war der Amokläufer ohne eine List gelangt: Mit einem Spezialausweis, ausgestellt im Juli, konnte er alle Kontrollen problemlos passieren. Unklar bleibt indes, wie er ein Gewehr und zwei Pistolen an den Wachen vorbeischmuggeln konnte. Lag es am Schlendrian? Hatte er einen Komplizen?

Aufgewachsen in New York, soll Alexis nach den Anschlägen des 11. September bei den Bergungsarbeiten in der Grube der eingestürzten Zwillingstürme geholfen haben. So skizziert es sein Vater, der glaubt, dass sein Sohn den selbstlosen Einsatz mit einer posttraumatischen Belastungsstörung bezahlte. 2007 ging er als Reservist zur Marine, die ihn zum Elektriker ausbildete, spezialisiert auf Flugzeugträger- Kampfjets, und ihn einem Technikzentrum in Fort Worth zuteilte, der Zwillingsstadt des bekannteren Dallas. Dass er die "Verdienstmedaille für den globalen Kampf gegen den Terror" erhielt, besagt nichts, dazu wird der Orden zu häufig verliehen. Bei der Entlassung vor zwei Jahren war von Disziplinverstößen die Rede, danach begann er ein Aeronautik-Fernstudium. Seit August soll Alexis, unter anderem wegen Schlafstörungen, den Rat verschiedener Psychologen gesucht haben.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort