Münchner Sicherheitskonferenz Klitschko beschwört die Gefahr eines Bürgerkrieges

München · Die Dramatik von Protesten und Gewalt auf den Straßen der Ukraine erreicht buchstäblich die Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Mittelpunkt steht Oppositionsführer Vitali Klitschkow. Er warnt vor einer weiteren Eskalation des Konfliktes bis hin zum Bürgerkrieg.

 Vitali Klitschko, der ukrainische Oppositionsführer, spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Vitali Klitschko, der ukrainische Oppositionsführer, spricht auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Foto: ap, Frank Augstein

20 Staats- und Regierungschefs, über 50 wichtige Minister, 400 weitere Entscheidungsträger drängeln sich bei dieser 50. Münchner Sicherheitskonferenz, aber einer zieht alle Blicke auf sich: Vitali Klitschko, der ukrainische Oppositionsführer. Wo er geht, wo er steht, wo er sitzt, immer richten sich Kameras und Mikrofone auf ihn. Es ist die Mischung aus Prominenz und Dramatik, die den Ex-Boxweltmeister den zweiten Tag der Sicherheitskonferenz prägen lässt.

 Leonid Koschara und sein Gegenspieler Vitali Klitschko.

Leonid Koschara und sein Gegenspieler Vitali Klitschko.

Foto: afp, CHRISTOF STACHE

Klitschko selbst befördert das noch, indem er mittags auf einer Demonstration am Sendlinger Tor den Sieg der Opposition in Kiew beschwört und nachmittags vor TV-Kameras vor einem drohenden Bürgerkrieg warnt. Natürlich können den in erster Linie nur Präsident Viktor Janukowitsch und die Opposition in Kiew verhindern. Doch der Staatschef ist mit Grippe auf Tauchstation gegangen, und nun laufen im Bayerischen Hof fieberhafte Gespräche und Verhandlungen über mögliche Lösungen und wie die versammelte Sicherheits-Elite der Welt bei der Umsetzung helfen kann. Müssen europäische, internationale weltweite Organisationen mehr ins Spiel kommen? Welche? Wann? Und wo? Das ist der Stoff für zahlreiche bilaterale Gespräche. Viele Politiker treffen sich sowohl mit Klitschko als auch mit dem ukrainischen Außenminister Leonid Koschara. Aber twittern lassen sie nur die Bilder mit Klitschko. Die Frage der Prominenz ist eindeutig. Auch die der Sympathie?

Wohin tendiert die Ukraine?

Da es im Kern darum geht, ob sich die Ukraine Russland oder der EU zuwendet, kommt es auf jeden Nebensatz an, den Russlands Außenminister Sergej Lawrow in München wählt. Zur Enttäuschung vieler Teilnehmer entscheidet er sich für die harte Linie. Doppelzüngigkeit wirft er der EU vor. Sie unterstütze in Kiew die Besetzung von Regierungsgebäuden, was in jedem Land der EU sofort geahndet würde. Und er frage sich, was "das Anstiften von Unruhen mit Demokratie zu tun" habe. Die Standardschuldzuweisung aus Moskau an die Adresse der EU.

Am späten Nachmittag sitzen sie scheinbar einträchtig auf dem Podium nebeneinander: Koschara und sein Gegenspieler Klitschko. Hinter den Kulissen hat Koschara ein Signal der Entspannung gesetzt. Der mit schweren Misshandlungen aufgefundene Oppositionspolitiker Dimitri Bulatow werde nicht länger unter Hausarrest gestellt und dürfe sich auch im Ausland medizinisch behandeln lassen.

Auf der Bühne gibt das ukrainische Regierungsmitglied zu Protokoll, dass die "Maidan-Bewegung", also die anhaltenden Proteste auf dem Maidan-Platz, komplizierter sei als angenommen. Es sei unmöglich für die Ukraine, kein europäisches Land zu sein, da es sich in Europa befinde und vielfältige europäische Wurzeln habe. Gleichzeitig sei es aber auch unmöglich, die Ukraine angesichts von acht Millionen Russland verbundenen Bürgern Russland zu entreißen. Er verweist auf monatlich 400 Millionen US-Dollar Einsparungen dank der neuen Konditionen Moskaus für die Energielieferungen, erwähnt den 15-Milliarden-Kredit Russlands und folgert daraus: "Wir müssen strategisch agieren."

Unruhig rutscht Klitschko auf seinem Sessel hin und her.

Doch Koschara ist noch nicht fertig. Erst muss er noch die Verantwortung der Opposition erwähnen. Er wirft ihr Gewalttätigkeit vor, kritisiert das Besetzen von Regierungsgebäuden, das Werfen von Molotowcocktails.

Gegen 18 Uhr ist endlich auch Klitschko an der Reihe. "Ich will die ganze Krise aus meiner Sicht beschreiben", liest er vom Blatt. Er beschwört die Träume der Ukrainer seit der Unabhängigkeit, vergleicht sie mit der Entwicklung in Polen, in Tschechien und der Slowakei. Die von Präsident Janukowitsch als "eigener Weg" der Ukraine bezeichnete Richtung sei in Wirklichkeit "der Weg der Gewalt". Nach ausbleibenden Reformen komme es nun auf vorgezogene Präsidentschaftswahlen an. Stattdessen wähle der Präsident die Eskalation. Die versprochenen Freilassungen sämtlicher festgenommener Demonstranten seien ausgeblieben. Viele Verschleppte blieben vermisst. Dann listet er die Forderungen der Opposition auf: Erstens, zweitens, drittens… Sofortige Freilassung, Neuwahlen, Verfassungsänderungen, Wahlgesetze. Er schließt mit einem Dank für die in München erlebte Unterstützung. Anders als bei seinen Vorrednern brandet langer Applaus im Bayerischen Hof auf. Die Frage nach der Sympathie ist geklärt.

"Bitte setzen Sie nicht die Streitkräfte ein"

Doch die Spannung steigt. Rumäniens Präsident Traian Basescu hat von München aus bereits an Janukowitsch appelliert: "Bitte seien Sie nicht versucht, die Streitkräfte einzusetzen." Und der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brezinski hat vorhergesagt, dass eine weitere Eskalation in Kiew letztlich auch zum Fiasko für Russland selbst werde.

Für Koschara ist alles glasklar. Sämtliche Forderungen der Opposition seien erfüllt, er selbst nach dem Rücktritt der Regierung nur noch als geschäftsführender Minister in München. "Sind Sie Teil derer, die Molotow-Cocktails auf Polizisten werfen?", fragt er Klitschko. Der erwidert, dass die Opposition erst auf die Straße gegangen sei, nachdem Janukowitsch den Prozess einer Annäherung an die EU gestoppt hatte. Inzwischen gehe es nicht nur um die Europa-Bewegung sondern um die Ablehnung dieses Systems. Klitschko steht auf und holt eine Fotosammlung, die die Brutalität des Regimes belegen soll. Er verteilt sie vor den Kameras an alle Diskussionsteilnehmer. Viel Blut ist darauf zu sehen.

Der EU-Ukraine-Experte Elmar Brok verweist auf den vielfältigen Druck, den Moskau in den letzten Wochen auf die Ukraine ausgeübt habe. Inzwischen gehe es darum, dass die Ukrainer in Freiheit leben wollten. Daraufhin verschärft Koschara die Wortwahl und spricht von "Terroristen", die auf den Straßen von Kiew unterwegs seien. Klitschko sagt dazu nichts, er hält als Kommentar nur die Bilder in die Höhe, die die Brutalität des ukrainischen Staates zeigen.

Die Sicherheits-Elite wird Zeuge einer Eskalation in Echtzeit. Und wirkt zunächst einmal machtlos.

(may)
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