Lasche Justiz Frauenmord als Kavaliersdelikt

Istanbul · Eigentlich hat die Türkei die Gesetze zum Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt. Nur werden sie längst nicht immer in voller Schärfe angewandt.

 Angehörige der von ihrem Ehemann getöteten Hausfrau Ayten Adigüzel und Frauenrechtsaktivistinnen haben sich vor dem Istanbuler Schwurgericht versammelt.

Angehörige der von ihrem Ehemann getöteten Hausfrau Ayten Adigüzel und Frauenrechtsaktivistinnen haben sich vor dem Istanbuler Schwurgericht versammelt.

Foto: Susanne Güsten

Warten, warten, warten: Im Café „Zum Gericht“ gegenüber vom Justizpalast im Istanbuler Stadtteil Bakirköy herrscht Hochbetrieb. Wer es in der Türkei mit der Justiz zu tun hat, muss Geduld mitbringen – die Gerichte sind überlastet, die Verhandlungen verzögern sich oft um Stunden. Zwischen den Anwälten, Zeugen und Angehörigen, die im Café die Zeit totschlagen, sitzen an einem hinteren Tisch zwei Frauen – die eine jünger und rothaarig, die andere älter mit grauem Pferdeschwanz und bunter Strickjacke. Bei Tee mit Zitrone warten sie an diesem regnerischen Vormittag darauf, dass die 14. Schwurgerichtskammer ihren Rückstand aufholt und den Mordfall Ayten Adigüzel aufruft.

Zeit müsse man dafür schon haben, sagt die jüngere Frau – sie heißt Duygu Bayburt und ist Pilotin bei Turkish Airlines. Wegen ihrer ungewöhnlichen Arbeitszeiten habe sie manchmal werktags frei, erzählt sie; diese Freizeit nutze sie, um als Beobachterin an Prozessen gegen mutmaßliche Frauenmörder teilzunehmen. „Ich habe mich immer aufgeregt, wenn ich von den vielen Frauenmorden gehört oder gelesen habe, ich wollte etwas dagegen tun“, erzählt die Pilotin. „Bei der Frauenplattform habe ich gelernt, was ich persönlich dagegen tun kann, und nun komme ich als Beobachterin zu solchen Prozessen und habe schon das Gefühl, dass ich etwas bewege.

Duygu spricht von der Plattform „Wir stoppen die Frauenmorde“, einer Bewegung, in der sich Tausende Frauen in der ganzen Türkei zusammengetan haben. 474 Frauen wurden nach Zählung der Vereinigung im vergangenen Jahr in der Türkei von ihren Ehemännern oder Partnern getötet – darunter vermutlich auch die Hausfrau und Mutter Ayten Adigüzel, deren Ehemann dafür heute vor Gericht steht.

„Ein relativ typischer Fall“, sagt Oya Ucar, die ältere der beiden Frauen im Café. „Ayten ist wie viele andere Frauen schon lange von ihrem Mann bedroht worden, und wie viele andere hat sie keinen Schutz bekommen. Am Ende ist sie vor den Augen ihrer beiden kleinen Kinder getötet worden.“

Dabei habe die Türkei durchaus die notwendigen Gesetze zum Schutz der Frauen, sagen die beiden Aktivistinnen. „Unser Problem ist, dass diese Bestimmungen von den Behörden nicht ausreichend angewandt werden.“ Daran seien nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft schuld, sondern auch die Gerichte, die Frauenmörder zu nachsichtig behandeln. Einen viel zu weiten Ermessensspielraum haben die Richter demnach bei der Strafzumessung. Strafnachlässe gibt es für angeblichen Affekt, für Reue und oft sogar für gute Führung, wenn der Täter in Anzug und Krawatte vor Gericht erscheint. Nicht selten kommen Frauenmörder dadurch mit wenigen Jahren Haft davon – nicht gerade abschreckend, beklagt die Frauenplattform. Ihre Prozessbeobachterinnen wollen Öffentlichkeit herstellen und die Richter unter Druck setzen, das Strafmaß voll auszuschöpfen.

Das bringe durchaus etwas, sagt Duygu Bayburt. „Zum einen unterstützen wir damit die Angehörigen, die im Gerichtssaal oft schlimm bedrängt werden“, erzählt die Pilotin. Vor Gericht würden oft allerlei Vorwürfe und Verleumdungen gegen das Opfer erhoben, das sich ja nicht mehr wehren könne. „Da heißt es dann, die Frau habe den Ehemann betrogen, sie habe ihn provoziert oder angegriffen oder sonst etwas. Da wird so getan, als könne es einen vernünftigen Grund für so eine Tat geben.“ Mit ihrer Anwesenheit wollten die Prozessbeobachterinnen die Richter daran erinnern, „dass für die Tötung eines Menschen die volle Strafe verhängt werden muss und dass es da keine Nachlässe oder Abstriche geben darf“. Und manchmal sei es tatsächlich ihre Anwesenheit, die den Ausschlag beim Strafmaß gebe – „das ist auf jeden Fall so“.

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