Aktuelle Studie zum deutschen Bildungssystem NRW glänzt bei Hochschulreife — doch Probleme bleiben

Berlin · Weniger Schulabbrecher, mehr Bildungsabschlüsse. Eigentlich sind es ganz gute Nachrichten, die eine neue Studie über das deutsche Schulsystem verkünden kann. Doch sie zeigt auch: Es gibt noch jede Menge Nachholbedarf etwa in Bezug auf die Chancengleichheit von Schülern – auch in NRW.

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Foto: dpa, Federico Gambarini

Weniger Schulabbrecher, mehr Bildungsabschlüsse. Eigentlich sind es ganz gute Nachrichten, die eine neue Studie über das deutsche Schulsystem verkünden kann. Doch sie zeigt auch: Es gibt noch jede Menge Nachholbedarf etwa in Bezug auf die Chancengleichheit von Schülern — auch in NRW.

Es ist bereits das zweite Mal, dass die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit den Universitäten Dortmund und Jena ihren Chancenspiegel vorlegt. Und auch diesmal ging es wieder darum zu zeigen, wie gerecht und leistungsstark das Schulsystem in den einzelnen Bundesländern ist. Das Fazit der Forscher: Noch immer sei Bildungserfolg stark abhängig von der sozialen Herkunft abhängig. "Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Auch wenn die Forscher so einiges zu kritisieren haben, so zeigt der Vergleich zum Schuljahr 2009/2010 aber auch, dass es vorangeht bei der Beseitigung von Defiziten im Schulsystem, wenn auch natürlich nicht im Eiltempo. So zeigt die Studie, dass die Zahl der Schulabbrecher gesunken ist — von 6,9 Prozent auf 6,2 Prozent. Auch gibt es immer mehr Schulabgänger, die die Hochschulreife erreichen. Die Studienmacher sprechen von einem Rekordhoch. Denn jeder zweite Schulabgänger ist inzwischen zu einem Studium berechtigt. Die Zahlen könnten sich in den nächsten Jahren aber angleichen, da die Kultusminister der Länder sich gerade auf bundesweite Abi-Aufgaben geeinigt hatten.

Positive Zahlen bei Studienabbrechern

In Bezug darauf kann vor allem Nordrhein-Westfalen positive Tendenzen vorweisen. So erreichten hier 59,1 Prozent die Berechtigung zum Studium — das sind ganze acht Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Und die Zahlen könnten aktuell vielleicht noch höher liegen. Denn — das ist der Nachteil der Studie — die ausgewerteten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2011. Jüngere liegen wie so oft noch nicht vor. Allerdings zeigt der Vergleich zur vorigen Studie gut auf, dass es Verbesserungen gibt und die Anstrengungen von Bund und Länder ihre Wirkung entfalten.

In der Studie wird auch gezeigt, dass kein Bundesland von den anderen abgehängt ist und auch keines den anderen davon läuft. "Die Bundesländer haben jeweils Stärken und Schwächen, alle haben Nachholbedarf", sagt Wilfried Bos, Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund. So liege etwa der Anteil der Schulabbrecher in Mecklenburg-Vorpommern bei 13,3 Prozent, im Saarland dagegen bei nur 4,8 Prozent. Und in Sachsen sei der Unterschied zwischen Schülern aus den oberen und unteren Sozialschichten nur halb so groß wie etwa in Bayern.

NRW ist in dem Vergleich mit ganz vorn bei der Kategorie "Zertifikatsvergabe", womit unter anderem die Zahl der Hochschulzugangsberechtigungen gemeint ist. Auch bei den Schulabbrechern sind die Zahlen hier positiv, liegen sie doch mit 5,7 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Doch auch NRW hat in einigen Bereichen Nachholbedarf, wie die Forscher feststellten.

Bei der Inklusion hat NRW hohen Nachholbedarf

Das betrifft etwa die Inklusion. Für die gesamte Bundesrepublik stellen die Forscher hier fest, dass trotz der Bemühungen um die Inklusion, also die Integration von förderungsbedürftigen Schülern in den Regelschulalltag, die Bedeutung der Förderschulen kaum nachlasse. In NRW liegt der Anteil der Schüler, die einen besonderen Förderungsbedarf haben, mit 6,6 Prozent leicht über dem Bundesdurchschnitt. Der Anteil dieser Schüler, die gesondert in Förderschulen unterrichtet wurden, ist im Vergleich zu 2010 um 0,2 Prozent auf 5,3 Prozent gesunken. Allerdings ist dies das gleiche Niveau wie im Jahr 2009.

Gerade die Integration von besonders förderungsbedürftigen Schülern spielt bei der Bildungspolitik in NRW immer wieder eine Rolle. Denn Deutschland hatte sich vor vier Jahren dazu verpflichtet, Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten. Rot-Grün machte sich dies zur Herzensangelegenheit, doch es ging nur stockend voran. Schon im März dieses Jahres hatte die Bertelsmann Stiftung konstatiert, dass das NRW hier im Bundesdurchschnitt hinterher hinke. Die jetzige Studie sieht das Bundesland hier ebenfalls in der unteren Gruppe der Bundesländer.

Beim Unterrichten in Ganztagsschulen dagegen liegt NRW mehr als zwei Prozent über dem Bundesdurchschnitt, 30,7 Prozent der Schüler besuchen eine solche Einrichtung. In allen anderen untersuchten Punkten allerdings hinkt NRW dem Bundesschnitt hinterher. So erreichten sozial benachteiligte Kinder 70 Kompetenzpunkte weniger als privilegierte Kinder (Bundesdurchschnitt 81 Punkte). Auch beim Wechsel von einer niedrigeren auf eine höhere Schulart (wie etwa von der Hauptschule auf die Realschule) liegt das Bundesland massiv unter dem Bundesniveau. Während im Schnitt auf einen Aufwärtswechsel 4,2 Abwärtswechsel folgen, liegt der Schnitt in NRW sogar bei 1:7,5.

Auch bei der Lesekompetenz liegen die Schüler in NRW unter dem Bundesdurchschnitt. In diesem Punkt üben die Forscher aber auch allgemein Kritik. Das Leseverständnis der Grundschüler, so heißt es in der Studie, bewege sich nahezu auf demselben Niveau wie vor zehn Jahren. Wenn die nächste Pisa-Studie ansteht, dürfte das wieder ein entscheidender Punkt sein, der Deutschland im internationalen Vergleich weniger gut abschneiden lässt.

(das)
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