"Hart aber fair" Wallraff nennt Schlecker "beratungsresistenten Autokraten"

Düsseldorf · Folgen und Fehler der Schlecker-Pleite brachten Frank Plasbergs Runde ins Gespräch über soziale Gerechtigkeit. Ein Jurist erteilte Nachhilfe in Sachen Wirtschaftsrecht und eine SPD-Politikerin bezeichnete Unternehmer Anton Schlecker als Geizhals.

  • Hans Rudolf Wöhrl, Unternehmer
  • Günter Wallraff, Enthüllungsjournalist
  • Leni Breymaier, SPD-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg; ehemalige Verdi-Chefin in Baden-Württemberg
  • Hans Richter, Oberstaatsanwalt a.D., ehemaliger Leiter Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftsstrafsachen in Stuttgart
  • Wolfgang Kubicki, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender

Darum ging's

Familie Schlecker steht vor Gericht. Pleiten auf der einen Seite, Manager mit Millionen-Boni auf der anderen Seite — Frank Plasberg will wissen, was wir aus dem Bankrott lernen können. Schont das Recht verantwortungslose Chefs? Wächst oben die Gier und unten die Armut?

Darum ging's wirklich

Alle bedauern die ehemaligen Schlecker-Angestellten und sind gespannt wie der Prozess ausgeht. Jurist Hnas Richter gibt Nachhilfe im Wirtschaftsrecht und Leni Breymaier streitet mit Wolfgang Kubicki ("Ich bin die FDP") über den Umgang mit dem Insolvenz-Fall, als hätte er sich gestern ereignet. Die Runde diskutiert, ob Managergehälter mit Anstand zu tun haben und ist sich einig, dass Kinderreichtum nicht zu Armut führen sollte.

Frontverlauf

Zum Auftakt darf jeder in der Runde sein Schlecker-Urteil abgeben. Hans Richter erteilt eine hörenswerte Mini-Lektion zum Wirtschaftsrecht, und zuletzt geht es um Arm und Reich: Was tun mit Managern, die Millionen als Bonus für freie Jahre bekommen, und was mit einer sechsköpfigen Familie, die sich mit 3000 Euro im Monat arm fühlt?

"Anton Schlecker war ein Geizhals", lautet die klare Ansage der Baden-Württembergerin Breymaier, die daran erinnert, dass, wer sich gegen dessen Stil nicht wehrte, um sein Geld betrogen wurde. "Das war immer völlig irre, was da abging." Wenn ihr der ehemalige Metzger am Ende fast leid tat, lag es daran, dass sein Laden als GmbH vielleicht besser ausgesehen hätte. Aber seine ehemaligen Angestellten täten ihr deutlich mehr leid. "Außer der juristischen Aufarbeitung bräuchten wir jetzt auch eine politische und menschliche", fordert die SPD-Politikerin.

"Beratungsresistenter Autokrat"

Günter Wallraff nennt Schlecker einen "einsamen Menschen", der zugleich ein "beratungsresistenter Autokrat" sei. Der Journalist glaubt, besserer Mitbestimmung in seinem Unternehmen hätte Schaden vermeiden helfen können.

Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl und FDP-Mann Kubicki teilen Wallraffs Einschätzung nicht. Beide glauben, das Filialmodell hätte schlicht ausgedient. Schlecker sei "mit Tante Emma Läden im großen Stil" erfolgreich gewesen, und habe daran zu lange festgehalten. "Ich glaube, der Mann hat einfach nicht begriffen, dass er das gegen die Wand fährt." Für juristische Fehler bekomme er jetzt die Quittung. Mitbestimmung existiere auch in Firmen wie Karstadt oder Opel, das Modell sei also kein Schutz vor Verlusten.

Scheitern ist nicht strafbar

Staatsanwalt a.D. Hans Richter klärt launig über das Wirtschaftsrecht auf, juristisch sei nun egal, ob er als einfacher Kaufmann oder GmbH gescheitert sei. "Insolvenz ist nicht strafbar oder ehrenrührig," erklärt er. Nicht Scheitern sei strafbar, wohl aber wenn man den Gläubigern nicht ermögliche mitzureden. Das sei Insolvenz-Verschleppung. "Sobald ich nicht mehr mit eigenem Geld arbeite, muss ich mich an Regeln halten", erklärt Richter und bringt es auf den Punkt: "Das eigene Geld darf man verschenken, das von anderen aber nicht"

Leni Breymaier ist überzeugt, dass eine Transfergesellschaft 15.000 Arbeitsplätze hätte retten können. Sie ist nach wie vor wütend über die FDP, die das damals abgelehnt hätte und dann anschließend ihrer Meinung nach zu Recht aus dem Landtag geflogen sei.

Was bleibt nach der Insolvenz?

Nach Ansicht der Runde bleibt meist wenig für ehemalige Angestellte und Gläubiger. Breymaier meint, dass die 25.000 Frauen hätten mehr Erfolg gehabt, wenn sie nicht "wie Konfetti über Deutschland verteilt" gewesen seien, sondern konzentriert wie bei Opel. Da sei das Kämpfen einfacher.

Frank Plasberg will über befristete Arbeitsverträge diskutieren, aber so richtig kommt kein Schwung ins Thema. Für Unternehmer Wöhrle machen Befristungen mit Grund Sinn, für Leni Breymaier sind die Gründe oft fadenscheinig. Kubicki erinnert, der öffentliche Dienst habe die meisten befristeten Arbeitsverträge. Wallraff fürchtet, dass die Gesellschaft weiter auseinander drifte, wenn Stammarbeiter abgebaut würden und schlechter bezahlte, schneller zu entlassende Kräfte sie ersetzten.

Er liest aus den Statistiken, dass die 100 Reichsten immer mehr Vermögen ansammelten und fordert neue Steuerprogressionen. Wöhrle kann ihm nicht folgen: "Manchmal hab ich das Gefühl, sie haben zu viele Mickey-Mouse Hefte gelesen", sagt er, man könne höhere Einkommen besteuern aber doch nicht die Unternehmen.

Arm oder reich

Plasberg rät, bei Statistiken genau hinzuschauen. Zwar sei in Deutschland der Anteil der Armutsgefährdeten auf 13 Millionen Menschen gestiegen. "Aber darunter fallen auch 2,8 Millionen Studenten, die kurzfristig wenig haben, am Ende aber eher Gewinner sein werden." Dann lernen Zuschauer und Gäste die Familie Ehlers kennen, die sich mit vier Kindern und 3000 Euro im Monat durch ihre kaputte Waschmaschine in der Existenz bedroht sieht. Seit Ilona Ehlers (Name geändert) nach dem vierten Kind nicht mehr arbeiten könne, werde es knapp.

So richtig will die Not der Familie nicht klar werden, selbst Plasberg verstummt. "Da fallen mir jetzt keine Fragen mehr ein." Aber die Runde stimmt höflich überein, als Wolfgang Kubicki sich auf den Allgemeinplatz rettet: "Kinder sind ja eine Bereicherung, die dürfen kein Armutsrisiko sein. Da müssen wir mehr tun."

Anstand ist keine rechtliche Kategorie

Frank Plasberg nimmt sich dann noch die Managergehälter vor. Den Millionen-Bonus für VWs Winterkorn für ein Jahr, in dem er nicht mehr gearbeitet hat, findet keiner gut. Wolfang Kubicki: "Anstand ist eine Kategorie, die kann man rechtlich nicht erzwingen." Hans Richter findet, dass Anreize falsch gesetzt werden. "Der Erfolgreiche muss belohnt werden, aber wie wird Erfolg gemessen?", fragt er und vermutet, dass ein Druck bestehe, auf Grenzen des rechtlich erlaubten hinzuarbeiten, weil dann der Erfolg am größten sei. Nur seien das in Wahrheit recht kurzfristige Erfolge. Wallraff findet es "nicht unsittlich, die Deckelung von Managergehältern zu diskutieren." Leni Breymaier: Freut sich über Andrea Nahles Vorlage, hohe Managergehälter künftig nicht mehr steuerlich absetzbar zu machen.

(juju)
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