Die Schleckers Eine schrecklich nette Familie

Stuttgart · Am Montag beginnt der Prozess gegen Anton Schlecker, seine Frau, seine Kinder und zwei frühere Wirtschaftsprüfer.

 Das Imperium von einst: Lars, Anton, Christa und Meike Schlecker.

Das Imperium von einst: Lars, Anton, Christa und Meike Schlecker.

Foto: Schlecker/DAPD

Wenn man sich die Fotomontage anschaut, dieses zusammengesetzte Bild der Schleckers, könnte man meinen, da habe einer Vater, Mutter und die wohlgeratenen Kinder fürs Familienalbum festgehalten. Vielleicht ist der Nachwuchs - er eher der Typ Musiker mit lockiger Künstlerfrisur, sie im dunklen Kostüm einer Bankerin oder Unternehmensberaterin - zur Silberhochzeit gekommen oder zum runden Geburtstag von Papa oder Mama ins Heimatstädtchen zurückgekehrt. Nette Familie, würde sich der Betrachter denken. Fehlen nur Enkel auf Opas Schulter und Omas Arm. Idyllisches Beisammensein am Ammerweg in Ehingen, 25.000 Einwohner, südwestlich von Ulm.

Das mit der netten Familie würden viele der einst 36.000 Schlecker-Beschäftigten nicht unterschreiben. Für Tausende, die nach dem Kollaps des Unternehmens 2012 keinen neuen Job fanden, ist vor allem Anton Schlecker, der Patriarch von einst, das Gesicht eines Albtraums; Vorstand einer eher schrecklichen Familie, deren Drogeriemarkt-Imperium vor fünf Jahren Insolvenz anmelden musste und die sich ab Montag gemeinsam mit zwei früheren Wirtschaftsprüfern vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten muss. Die Vorwürfe: Untreue, Insolvenzverschleppung, betrügerischer Bankrott.

30 Seiten umfasst die komprimierte Fassung der Anklageschrift, die am Montag verlesen wird. Das klingt fast bescheiden, gemessen an dem öffentlichen Interesse. Vermutlich ist der Saal mit mehr als 100 Besucherplätzen komplett gefüllt. Viele werden sehen wollen, wie dieser Anton Schlecker sich vor Gericht verkauft. Wie er sich rechtfertigt, der Mann, den viele nur von diesen zwei, drei Fotos kennen, die immer wieder veröffentlicht werden. Der sonst weitgehend unbekannt ist, weil er sich mit seiner Frau immer hinter hohen Mauern im Privatanwesen verschanzt hat.

Wenn die Immobilie ihnen überhaupt noch gehört. Bevor der Konzern zusammenbrach, sollen die Schleckers ja noch reichlich Vermögen im Clan verschoben haben. Zigtausende Euro für Ehefrau Christa hier, Luxusreisen für die Kinder Lars und Meike da, sündhaft teure Geschenke für die Enkel, fünfstellige Honorare, die von Konten einer Schlecker-Tochterfirma auf jenes von Christa Schlecker geflossen sein sollen für Beratungsleistungen, die die Mutter der Schlecker-Kompanie aber nie erbracht haben soll.

Ein Auszug aus dem, was man Schlecker als kriminelles Verschieben von Vermögen vorgeworfen hat. Wie aus dem Nichts hat der einstige Drogeriemarkt-Pionier gut ein Jahr nach dem Firmenkollaps zehn Millionen Euro an den Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz gezahlt und sich mit ihm darauf geeinigt, dass Schenkungen aus den letzten vier Jahren vor der Pleite rückabgewickelt werden sollten.

Vermutlich war der öffentliche Druck durch die Spekulationen zu groß geworden. Als Meike Schlecker sagte, es sei an Vermögen eigentlich "nichts mehr da", löste sie in der Öffentlichkeit diese Mischung aus Wut, Ungläubigkeit und Heiterkeit aus, die einen immer dann erfasst, wenn man nicht glauben mag, was einem Zeitgenossen an vermeintlicher Wahrheit auftischen wollen. So wie einst im Fall von Madeleine Schickedanz, der Quelle-Erbin, die darüber klagte, sie und ihr Mann müssten nach der Pleite des Handelskonzerns Arcandor von ein paar hundert Euro im Monat leben.

Immerhin, bei Schlecker flossen zehn Millionen. Aber was ist das schon, wenn ein milliardenhoher Schuldenberg bleibt? Und, wie jetzt der "Spiegel" schreibt, 17 Millionen Euro an Steuernachforderungen auf Lars und Meike Schlecker zukommen könnten?

Natürlich gilt im Rechtsstaat bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung. Auch für die Schleckers. Aber schon abseits jedweder juristischen Beurteilung hegen viele Groll gegen den einstigen Herrscher. Rund 25.000 sogenannte Schlecker-Frauen beispielsweise, von denen viele heute noch arbeitssuchend sind; der Insolvenzverwalter, der unermüdlich versucht, Forderungen einzutreiben, die die Insolvenzmasse vergrößern - und damit die kleine Chance, dass mehr Menschen und Firmen als bisher wenigstens einen kleinen Teil dessen bekommen, das ihnen zusteht. Lieferanten, die Schlecker nicht mehr bezahlte oder bezahlen konnte, stehen in der Reihe, Banken, Mitarbeiter. Viel zu holen ist vermutlich nicht mehr, daran wird auch der Strafprozess nichts ändern. "Es kann sein, dass der finanzielle Nutzen des Strafverfahrens für die Gläubiger null sein wird", hat Insolvenzverwalter Gewitz gesagt. Zuversicht klingt anders. Aber es geht ab Montag ja auch nicht um ökonomische, sondern um juristische Gerechtigkeit.

Angesichts der vielen, denen die Schleckers Ärger und Kummer gebracht haben, wäre es kein Wunder, wenn sich das Paar nur möglichst unbeobachtet aus dem Haus traute. Sicherlich hat dazu auch die Entführung der damals 16 und 14 Jahre alten Kinder einen Tag vor Heiligabend 1987 beigetragen. So etwas verstärkt die Angst vor der Öffentlichkeit. Aber publik sein, das mochte Schlecker schon vorher nicht. Solche Aversion ist verständlich bei einem, der Mitarbeiter von Vorgesetzten bespitzeln ließ; der seit Ende der 90er Jahre vorbestraft ist, weil er Mitarbeitern vorgaukelte, sie würden nach Tarif bezahlt, obwohl der Lohn deutlich niedriger ausfiel; dessen Beschäftigte angeblich mit ihrem Handy dienstlich telefonieren mussten, weil die Apparate in den Zweigstellen gesperrt gewesen sein sollen. So macht man sich keine Freunde,

Das Privatleben des Paares, das Thema von TV-Filmen und Dokumentationen war, ist der Gegenentwurf zum publikumsnahen Unternehmen Schlecker. Das war mal die Nummer eins der Branche, die in den 70er und 80er Jahren kaufte und kaufte und wuchs und wuchs. Rund 9000 Filialen zählte die Gruppe zu ihren besten Zeiten. Aber Schlecker fehlte die Einsicht, dass sich Kundenverhalten ändert, dass man Filialen modernisieren und aufhübschen muss, damit die Klientel bleibt. Er ließ es, und die Kunden gingen. Die Umsätze brachen ein, Schlecker machte immer mehr Verluste. Bis zum bitteren Ende.

(RP)
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