Tödliche Messerattacke Verteidigung fordert Freispruch für Angeklagten im Chemnitz-Prozess

Chemnitz · Im Prozess zur tödlichen Messerattacke in Chemnitz im August 2018 sind die Plädoyers gesprochen worden. Die Verteidigung fordert Freispruch - und auch Angeklagte meldet sich zu Wort.

 Der Angeklagte am Donnerstag vor dem Gericht in Chemnitz.

Der Angeklagte am Donnerstag vor dem Gericht in Chemnitz.

Foto: AFP/MATTHIAS RIETSCHEL

Im Prozess zur tödlichen Messerattacke in Chemnitz vor knapp einem Jahr hat die Verteidigung einen Freispruch für den angeklagten 24-Jährigen gefordert. Sie verlangte am Donnerstag vor dem Landgericht Chemnitz zudem die Aufhebung des Haftbefehls und eine Haftentschädigung für den Mann, der seit knapp einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Es gebe keinerlei Beweise dafür, dass der Syrer am 26. August 2018 am Rande eines Stadtfests in Chemnitz gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker einen 35-jährigen Deutschen mit Messerstichen getötet und einen weiteren Mann schwer verletzt habe, argumentierte die Verteidigung in einem Gebäude des Oberlandesgerichtes Dresden, wo der Prozess aus Sicherheitsgründen stattfand. Im Laufe des Nachmittags wurde ein Urteil erwartet.

Der Angeklagte sprach sich in seinem letzten Wort für ein faires Urteil aus. „Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird und ein gerechtes Urteil gesprochen wird“, ließ der Syrer durch einen Dolmetscher übersetzen. Er hoffe nicht, das zweite Opfer des eigentlichen Täters zu werden; das erste Opfer sei der getötete Daniel H. „Ich möchte nicht das zweite Opfer sein, indem ich für ihn bestraft werde. Das ist meine einzige Hoffnung.“ Das Gericht zog sich nach den Schlussworten des Angeklagten zu Beratungen zurück.

In der gesamten Verhandlung hatte der 24-Jährige zu den Vorwürfen gegen ihn geschwiegen. In einem am Dienstag ausgestrahlten Telefoninterview des ZDF-Magazins „Frontal21“ hatte er zwar seine Unschuld beteuert - diese Aussagen haben nach Gerichtsangaben aber keinen Einfluss auf die Urteilsfindung. Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung durch die Kammer gewonnenen Erkenntnisse entscheidend, hatte es geheißen.

Verteidiger Frank Wilhelm Drücke rückte in seinem Plädoyer die Geschehnisse nach der Tat in den Blickpunkt. „Für uns ist das mitnichten ein normales Verfahren“, sagte er. Er appellierte an die Kammer des Landgerichts, sich bei der Urteilsfindung nicht von Forderungen aus Politik, Gesellschaft oder von einem „marodierenden Mob“ beeinflussen zu lassen.

Die Staatsanwaltschaft hatte am Montag in ihrem Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren für den Angeklagten wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Die drei Vertreter der Nebenklage gingen am Donnerstag in ihren Plädoyers über diesen Antrag hinaus und forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren.

In der Folge der Messerattacke war es im vergangenen Jahr in der Stadt zu rassistisch motivierten Übergriffen gekommen, die mehr als das Verbrechen selbst auch auf internationaler Ebene ein Schlaglicht auf Chemnitz warfen. Der Streit um die Frage, ob es „Hetzjagden“ gegeben habe, wurde auf Bundesebene zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD - und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten verlor. Im November 2018 versetzte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dann in den einstweiligen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanuskript von teils „linksradikalen Kräften in der SPD“ gesprochen hatte.

(mja/dpa)
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