Lehren aus Südkorea Testen, testen, testen

Peking · In Südkorea zeigen Früherkennung und Transparenz, dass der Kampf gegen das Virus zu gewinnen ist. Ohne Abschottung.

 Menschen, die in ihren Autos sitzen, werden in einer Behelfsklinik in Gwangju, etwa 300 Kilometer südlich von Seoul, getestet.

Menschen, die in ihren Autos sitzen, werden in einer Behelfsklinik in Gwangju, etwa 300 Kilometer südlich von Seoul, getestet.

Foto: dpa/-

In Ostasien sind die Südkoreaner für ihre Ungeduld bekannt. „Bali bali“ nennen sie ihre spezifische Mentalität, im Land am Han-Fluss muss eben alles besonders „schnell schnell“ gehen. Selten stellt sich dieses Klischee als so wahr heraus wie beim Kampf gegen das Coronavirus: In nur 17 Tagen haben Südkoreas Behörden einen eigenen Virustest eingeführt und ein Netzwerk aus über 100 Laboren ins Laufen gebracht, von denen die meisten rund um die Uhr arbeiten. „Schnell sein, transparent und präventiv“, beschreibt das Seouler Außenministerium die Strategie der Regierung.

Etwas über 8400 Coronavirus-Infizierte sind in den offiziellen Zahlen gelistet. Damit ist Südkorea das nach Ansteckungen am sechststärksten betroffene Land der Welt. Noch vor einigen Wochen lag der ostasiatische Tigerstaat in den offiziellen Statistiken auf dem zweiten Platz nach China. Mittlerweile haben die Koreaner jedoch die Wachstumskurve deutlich eingedämmt. Mehr noch: Für viele europäische Länder ist Südkorea beim Viruskampf zum Vorbild geworden.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, in denen nur Personen mit verdächtigen Symptomen getestet werden, wird in Südkorea grundsätzlich jeder auf das Virus überprüft, der engen Kontakt zu Infizierten hatte. Bei einer Bevölkerung von rund 50 Millionen haben sich bereits rund 300.000 Südkoreaner einem Gesundheitstest unterzogen, mehr als 20.000 sind es pro Woche.

Kein anderes Land hat ein so systematisches Früherkennungssystem aufgebaut. Zum Vergleich: Die USA haben bislang nur etwas mehr als 30.000 Tests durchgeführt – bei einer mehr als sechsmal so großen Bevölkerung. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer an Infizierten in den Vereinigten Staaten um ein Vielfaches höher ausfällt.

Die Gesundheitstests sind für Südkoreas Bevölkerung grundsätzlich kostenlos. Und extrem bequem: Als erstes Land hat Südkorea sogenannte „Drive Through“-Teststationen an viel befahrenen Straßen eingeführt. Dabei handelt es sich um provisorische Zelte mit mehreren Medizinern, die in weniger als zehn Minuten eine Speichelprobe abnehmen, ohne dass der Fahrer überhaupt sein Auto verlassen muss.

Inzwischen sind mehr als 50 solcher „Drive Throughs“ landesweit in Betrieb. Das systematische Testen bedeutet allerdings auch, dass die riesige Zahl an Personen mit nur milden oder gar keinen Symptomen überproportional von der Statistik erfasst wird. „Dies hat sich als zweischneidiges Schwert herausgestellt, weil die Zahl bestätigter Fälle in kurzer Zeit nach China zur zweithöchsten der Welt angestiegen ist“, heißt es vom Gesundheitsministerium in Seoul.

Die Früherkennung mag zwar die Statistik ruinieren, rettet aber gleichzeitig Leben. Südkoreas landesweite Sterblichkeitsrate bei Corona liegt derzeit bei einem Prozent – ein Bruchteil des globalen Durchschnitts. Rund zwei Drittel der Todesfälle sind männlich, auch wenn sich mit über 60 Prozent deutlich mehr Frauen infiziert haben. Die gefährdetste Gruppe bilden die über 80-Jährigen mit einer Sterblichkeitsrate von über sieben Prozent. Epidemiologisch hatte Südkorea übrigens für die derzeitige Virus-Epidemie denkbar ungünstige Startvoraussetzungen. Die Halbinsel liegt direkt an der Ostküste Chinas und ist zudem eines der dichtbesiedeldsten Länder der Welt. In der Zehn-Millionen-Metropole Seoul ist die Bevölkerungsdichte viermal so hoch wie in Berlin. Und doch konnte Südkorea eine Epidemie, die in etwas mehr als zwei Wochen von 30 Fällen auf über 6000 hochschnellte, stark entschleunigen.

Seit rund einer Woche vermeldet das Gesundheitsministerium täglich unter 100 Neuinfektionen, Anfang des Monats steckten sich täglich noch deutlich über 500 Menschen an. Im Gegensatz zu China oder Italien hat Südkorea weder Städte abgeriegelt, noch Blockaden errichtet. Nicht einmal Einreiseverbote wurden von der Regierung ausgesprochen – nur Besucher aus der Provinz Hubei müssen sich für 14 Tage unter Quarantäne begeben.

Die Behörden setzen stattdessen beim Kampf gegen das Virus auf radikale Transparenz: In Zusammenarbeit mit den örtlichen Telekommunikationsanbietern schicken die Behörden Warnbotschaften an die Handys von Anwohnern, die in unmittelbarer Nähe von Coronavirus-Hotspots registriert sind. Flächendeckend werden die Bewegungsabläufe von Infizierten online für alle einzusehen veröffentlicht.

Vor allem aber haben die Behörden zu einer „Social Distancing“- Kampagne aufgerufen, die von der Bevölkerung diszipliniert eingehalten wird: Im öffentlichen Raum tragen die meisten Südkoreaner Atemschutzmasken, vor Fahrstühlen stehen Desinfektionsmittel bereit, und die Schulen bleiben vorerst geschlossen.

In Folge von massiven Hamsterkäufen hat die Regierung den Verkauf von Gesichtsmasken reguliert und den Export ins Ausland verboten. Mittlerweile darf jeder Südkoreaner nur noch zwei Masken an speziellen Apotheken kaufen.

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