Stichwahl in der Türkei Die wichtigsten Fragen und Antworten

Nach dem knappen Ausgang der türkischen Präsidentenwahl bereitet sich das Land auf die Stichwahl zwischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu am 28. Mai vor. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu, was in den nächsten zwei Wochen zu erwarten ist.

 Wahlkampfreden der beiden Hauptkontrahenten im türkischen Wahlkampf: Links Kemal Kilicdaroglu, der Chef der republikanischen CHP, in Izmir. Daneben Recep Tayyip Erdogang bei einer Veranstaltung in Ankara.

Wahlkampfreden der beiden Hauptkontrahenten im türkischen Wahlkampf: Links Kemal Kilicdaroglu, der Chef der republikanischen CHP, in Izmir. Daneben Recep Tayyip Erdogang bei einer Veranstaltung in Ankara.

Foto: Menguarslan/dpa, Unal /AP

Warum müssen die Türken noch einmal wählen?

In der Türkei braucht ein Präsidentschaftskandidat im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen zum Sieg. Weder Erdogan (49,42 Prozent) noch Kilicdaroglu (44,95 Prozent) erreichten diese Marke am Sonntag. Für diesen Fall sieht das Gesetz eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten vor, die zwei Wochen nach dem ersten Wahltag stattfindet. Dies wird die erste Stichwahl bei einer türkischen Präsidentenwahl sein. Der dritte Kandidat, der Rechtsnationalist Sinan Ogan, kam am Sonntag auf 5,2 Prozent und scheidet aus. Ein vierter Kandidat, Muharrem Ince, hatte seine Bewerbung schon vor Sonntag zurückgezogen.

Wer darf am 28. Mai wählen?

Wahlberechtigt sind alle Türken über 18 Jahre. Am Sonntag waren das rund 64 Millionen Wähler, von denen drei Millionen im Ausland leben. Bei der Stichwahl in zwei Wochen werden rund 50.000 Neuwähler hinzukommen: So viele junge Türken werden bis zum 28. Mai ihren 18. Geburtstag feiern.

Wann stimmen die Türken in Europa ab und welches Ergebnis wird bei ihnen erwartet?

Der Zeitplan der Wahlkommission in Ankara sieht eine Stimmabgabe der Auslandswähler vom 20. bis einschließlich 24. Mai vor. An diesen fünf Tagen können die rund 1,5 Millionen türkischen Wähler in der Bundesrepublik in türkischen Konsulaten ihre Stimmen abgeben. In der ersten Runde am Sonntag stimmten rund 65 Prozent der türkischen Wähler in Deutschland für Erdogan – ein viel höherer Anteil als bei den Wählern in der Türkei. Kilicdaroglu kam bei den Türken in Deutschland auf 33 Prozent, Ogan auf 1,3 Prozent. In Österreich erhielt Erdogan knapp 72 Prozent, in der Schweiz war Kilicdaroglu mit 57 Prozent vorne. In zwei Wochen dürfte es ähnliche Ergebnisse geben. Allerdings werden die Stimmen der Auslandstürken das Rennen um die Präsidentschaft nicht entscheiden.

Wie wird der Wahlkampf bis zum 28. Mai ablaufen?

Erdogan und Kilicdaroglu werden ihren Kundgebungs-Marathon aus den vergangenen Wochen fortsetzen und mit Veranstaltungen im ganzen Land versuchen, Anhänger und Wechselwähler zu motivieren. Dabei dürfte es hart zur Sache gehen. Erdogan wird seinen Vorwurf an Kilicdaroglu verstärken, er lasse sich von kurdischen Terroristen unterstützen. Kilicdaroglu wird die Ein-Mann-Herrschaft von Erdogan als undemokratisch und korrupt anprangern. Beide Politiker werden ihr Versprechen erneuern, die 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei nach Hause zu schicken, denn die Flüchtlingsfrage war ein Hauptthema im Wahlkampf von Ogan, der am Sonntag fast drei Millionen Wählerstimmen erhielt. Wer die Ogan-Wähler für sich gewinnen kann, wird am 28. Mai siegen.

Wer hat die besseren Chancen?

Erdogan ist im Vorteil. Der Präsident verpasste am Sonntag zwar die Wiederwahl in der ersten Runde, erhielt aber fast zweieinhalb Millionen Stimmen mehr als Kilicdaroglu. Erdogan fällt es inhaltlich leichter, auf die Positionen von Ogan einzuschwenken und rechtsnationalistische Wähler anzuziehen. Manche Beobachter erwarten, dass Erdogan einen neuen Streit mit der EU über das Flüchtlingsthema vom Zaun brechen wird; Vorwürfe an den Westen kommen bei türkischen Nationalisten meistens gut an.

Kilicdaroglu dagegen muss die Enttäuschung seiner Anhänger überwinden, die am Sonntag fest mit einem Sieg gerechnet hatten. Zudem muss er sein Sechs-Parteien-Bündnis zusammenhalten, was schon vor der ersten Runde nicht einfach war. Chancenlos ist der Oppositionskandidat aber nicht. Millionen Türken wünschen sich einen politischen Wechsel in ihrem Land – Kilicdaroglu hat zwei Wochen Zeit, sie davon zu überzeugen, dass sie ihr Ziel am 28. Mai doch noch erreichen können. Erdogan-Anhänger werden möglicherweise schwerer an die Urnen zu bringen sein, weil sie den Sieg des Präsidenten für sicher halten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort