Gemeindearchivar Thomas Wolf Zwangsarbeiter und ein Lager für Südamerikaner

Gemeindearchivar Thomas Wolf · Nachdem jetzt der Vertrag zur Entschädigung der Zwangsarbeiter des zweiten Weltkrieges in seine endgültige Form gegossen und durch den Bundestag abgesichert wurde, kann aber noch nicht direkt mit der Auszahlung des Geldes begonnen werden. Denn zunächst einmal muss festgestellt werden, ob und wo genau Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Für die Gemeinde Jüchen bearbeitet Gemeindearchivar Thomas Wolf die Anfragen, die ihn meist von Ämtern und Privatpersonen erreichen.

Er berichtete jetzt im Geschichtsarbeitskreis über diese Arbeit. Dabei artet die Suche nach den Zwangsarbeitern und ihrem Beschäftigungsort in eine regelrechte Detektivarbeit aus. "Momentan kommen größtenteils Anfragen, die Hochneukirch betreffen. Doch leider existieren hier keine Einwohnermeldekarten mehr", berichtet Wolf. Für Jüchen selber gibt es diese Kartei aus der Zeit vor dem Ende des zweiten Weltkrieges noch, aber selbst dabei sei es schwierig, Nachfragen zu beantworten: "Bei Anfragen aus dem osteuropäischen Raum ist es oft schwer, die Namen der Personen, die Zwangsarbeiter beschäftigten, zu rekonstruieren."

Viele Zwangsarbeiter können sich an die Namen ungefähr erinnern und haben die Schreibweise ihrer Landessprache angepasst. Hinzu kommt nach Erfahrung des Gemeindearchivars, dass die Trennlinie zwischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern sehr dünn war. "Wenn Kriegsgefangene beispielsweise zu Arbeiten auf dem Land herangezogen wurden, dann war das durch Kriegsrecht abgesichert. Es gibt aber aus Jüchen Berichte über Kriegsgefangene, die Arbeiten verrichten mussten, die kriegsrechtlich verboten waren", so Wolf. So sollen Kriegsgefangene zum Ausheben von Schützengräben oder sogar zum Entfernen von Bomben gezwungen worden sein. Somit sind solche Kriegsgefangenen gleichzeitig Zwangsarbeiter und können entschädigt werden.

"Wenn wir solche Berichte aus Jüchen haben, erscheint es plausibel, dass auch im übrigen Gemeindegebiet so verfahren wurde", vermutet Wolf. Doch für einen lückenlosen Nachweis fehle oft Material. Im dem Arbeitsbericht räumte Thomas Wolf auch mit gängigen Klischees auf: "Es gibt immer diese Vulgär-Unterscheidung zwischen Zwangsarbeitern in den Fabriken und denen auf dem Lande. Angeblich soll es den Zwangsarbeitern, die auf Gehöften untergebracht wurden, besser ergangen sein, als denen, die in den Fabriken arbeiteten. Tendenziell mag das stimmen, aber man muss das Bild differenzieren."

So liegt Thomas Wolf auch ein Bericht über ein Gehöft im Jüchener Gemeinderaum vor, das mittlerweile nicht mehr existiert, in dem die Zwangsarbeiter sehr schlecht behandelt wurden. Wie kompliziert die Lage oft war, belegt auch der Fall der Textilfabrik Bausch in Otzenrath. "An die Fabrik war ein Lager angegliedert, das von parteitreuen NS-Frauen geführt wurde. Diese müssen ziemlich brutal gewesen sein", berichtet der Gemeindearchivar. Von Prügeln und schlechter Lebensmittelversorgung wird berichtet. Die Firmenleitung selber muss hingegen die Zwangsarbeiterinnen gut behandelt haben. "Es gibt den Bericht eines 13-jährigen Mädchens, das im Lager wohl sehr schlecht behandelt wurde und für das sich dann Herr Bausch persönlich eingesetzt hat", erzählt Thomas Wolf.

Im Zusammenhang mit der Firma Bausch konnte Thomas Wolf noch eine interessante Geschichte recherchieren. Nach Kriegsende waren in den Häusern der Firma für rund ein halbes Jahr Südamerikaner untergebracht: "Man kann sich die Lage nach Kriegsende nicht chaotisch genug vorstellen. Überall in Deutschland gab es natürlich Ausländer, die in ihre Heimat zurückkehren wollten." Die Alliierten richteten sogenannte "Displaced Persons"-Zentren ein, in denen die Menschen nach Regionen zusammengefasst wurden, um in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden. So kamen für einige Monate Südamerikaner, hauptsächlich Kaufleute und Geschäftsmänner, nach Otzenrath.

Hier will in nächster Zeit Thomas Wolf weiterforschen, denn: "Es gibt bisher nur wenige Berichte über die Südamerikaner. Wir wissen wohl, das sie immer die Dorfjugend im Fußballspiel geschlagen haben." Augenzeugenberichte zu diesem Thema und allgemein über Zwangsarbeiter werden im Gemeindearchiv gesammelt. Daniel Möltner

(NGZ)
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