Ratingen Experten sind dem Lärm auf der Spur

Ratingen · Hans Jörgens vom Verkehrsclub Deutschland misst an der Güterzugstrecke in West den Schallpegel.

 Hans Jörgens vom Verkehrsclub Deutschland an der Güterbahnstrecke am Felderhof, gegenüber der Straße Am Kleinen Rahm. Die Messwerte zeigen: Ob lange oder kurze Züge, der Lärm ist gleich stark.

Hans Jörgens vom Verkehrsclub Deutschland an der Güterbahnstrecke am Felderhof, gegenüber der Straße Am Kleinen Rahm. Die Messwerte zeigen: Ob lange oder kurze Züge, der Lärm ist gleich stark.

Foto: Achim Blazy

Was für eine Idylle, direkt am Bahngleis. Nur von Ferne sind Flugzeuge vom Flughafen zu hören, die Autogeräusche von der Brücke Volkardeyer Straße übertönen sanft das Zwitschern der Vögel. Ein Rumpeln in der Ferne lässt Hans Jörgens zum Mikrofon greifen. Der Sprecher vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) wagt sich an den Bahndamm heran und drückt auf "on". Der Kohlenzug sorgt für ohrenbetäubenden Lärm. Und er will kein Ende nehmen. Jörgens möchte etwas erklären, winkt aber ab. Zu laut. Fast 95 Dezibel zeigt das Instrument an. Ab 40, 50 Dezibel sei es gesundheitsschädlich, sagen Mediziner.

Jörgens war gestern Morgen schon einmal in Sachen Bahnlärm unterwegs: In Düsseldorf hatte er gemeinsam mit der Düsseldorfer Initiative "Bahnlärm-so-nicht" mehr als 4000 Unterschriften an einen Vertreter der Bahn übergeben. Davon alleine 277 aus Ratingen. Man hatte tagelang im Bereich Am Kleinen Rahm gesammelt. Dort, wo die Lärmschutzwand der Bahn einige hundert Meter vor der Brücke endet. "Die Anwohner sind an dieser Stelle völlig ungeschützt", sagt Jörgens und weist auf die direkt an der Strecke liegenden Gärten mit den Häusern hin. Ein Lokführer pfeift. Wieder greift Jörgens zum Mikro, es ist noch eingeschaltet. Heute lohnt das Abschalten nicht. So dicht hintereinander kommen die Güterzüge vorbei. Diesmal ist es ein Gefahrguttransporter: Drei Kesselwagen mit orangefarbenem Schild, ähnlich wie im Straßenverkehr. "Die dürfen hier 100 Stundenkilometer fahren. Mitten durch eine Ortschaft", sagt Jörgens, als der Kurzzug vorbei ist. Auch der hat es auf fast 95 Dezibel gebracht. Es sei Sache der Stadtverwaltungen, sich für eine Geschwindigkeitsbeschränkung einzusetzen. Das wirke sich auch beim Lärm aus: "Eine Geschwindigkeitsreduzierung würde man deutlich wahrnehmen." Er verweist auf das neueste Lärmschutzgutachten, das für das Projekt Felderhof auf der anderen Seite der Bahn erstellt wurde: Darin wird die Bahn zitiert, die bis 2025 angeblich die Zahl der Züge kaum erhöhen wolle, dafür aber die Länge der Züge. Jörgens hat Zweifel. Denn mit modernen Signalanlagen könne man die Zahl der Züge noch verdoppeln. Dabei gebe es moderne Methoden, den Krach zu dämpfen: "Dort, wo er entsteht, zwischen Schiene und Gleis." Er meint die neuartigen "Schienenstegdämpfer", die gerade an verschiedenen Orten getestet werden. Das sind Kunststoff ummantelte Resonanzkörper, die in kurzen Abständen direkt an beiden Seiten der Schienen montiert werden. Das "Masse-Feder-System" dämpft die Schwingungen des Gleises. Eine andere Methode: Möglichst nah am Gleis eine etwa ein Meter hohe Lärmschutzwand errichten. "Je näher der Schallschutz an der Lärmquelle ist, um so wirkungsvoller ist er", sagt Jörgens.

Michael Häßler, Leiter Vertrieb und Fahrplan bei der DB Netz AG, versicherte bei einer früheren CDU-Veranstaltung, dass die Bahn bereits viel für den Lärmschutz tue. Aber: Ist ein Projekt abgeschlossen, wird die Bahn nicht mehr nachbessern. In den Jahren 2004 und 2008 wurden Lärmschutz-Programme auf Ratinger Gebiet beendet. Das Problem: Geld ist knapp, die Liste der Kommunen, die Lärmschutz einfordern, ist lang. Ratingen kam früh an die Reihe — und wird nun von der Bahn klassisch ausgebremst. Weitere Projekte sind erst einmal nicht in Sicht. Verkehrspolitisch setzt die Koalition im Bund klar auf die Schiene. Dies bedeutet: Es wird deutlich mehr Güterverkehr geben — auch in Ratingen. Eine Lärmschutzwand, die einen Kilometer lang ist, kostet rund 1,3 Millionen Euro.

Harald Jeschke, Vorsitzender des Bürgervereins Duisburg-Neudorf, rund 20 Kilometer Luftlinie von Ratingen entfernt, kämpft mit Hartnäckigkeit gegen den Bahnlärm. 100 Millionen Euro für den Lärmschutz pro Jahr seien lächerlich, meinte Jeschke, "wir brauchen eine Milliarde pro Jahr". Seine Botschaft: Man muss Bahn-Management und Politiker in die Pflicht nehmen, zur Not mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen.

(jop)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort