Moers Theater erzählt Geschichten von Flucht

Moers · Stehender Beifall für die neue Schlosstheater-Premiere "Sand und Asphalt". Es ist die Respektbekundung für 15 wunderbare Frauen, für die weder die Theaterbühne noch das Leben in Deutschland Normalität bedeutet. Mit Regisseurin Barbara Wachendorff erzählen sie Geschichten von Flucht.

 Barbara Wachendorffs Mitspielerinnen erzählten von ihrer Heimat und ihren Traditionen, von der Sehnsucht und der Suche nach Freiheit.

Barbara Wachendorffs Mitspielerinnen erzählten von ihrer Heimat und ihren Traditionen, von der Sehnsucht und der Suche nach Freiheit.

Foto: Bettina Engel-Albustin

Die entscheidende Frage fällt am Schluss - und bleibt unbeantwortet: "Sind wir hier wirklich willkommen?" Das Licht geht aus, im Bühnenraum ist es stockdunkel, das Schauspiel zu Ende. Doch die Frage hallt noch lange nach. 85 Minuten lang waren die Frauen aus Syrien, Ghana und Nigeria Gastgeberinnen der Zuschauer, saßen mit ihnen an einer langen Tafel, bewirteten sie mit kleinen Gerichten aus ihren Heimatländern und erzählten. Sie erzählten von Krieg und Unterdrückung, von der Flucht, vom Ankommen in Deutschland und von der Sehnsucht nach der Heimat, wo nichts mehr so ist, wie es vielleicht einmal war. Das Premieren-Publikum lernte in dieser intimen Atmosphäre der Tischgesellschaft tapfere und mutige Frauen kennen, die viel verloren haben, aber nicht die Hoffnung. Es ist eine sehr bewegende Inszenierung, die viel früher auf die Theaterbühne gemusst hätte.

Regisseurin Barbara Wachendorff hat eine andere Perspektive von Flucht gewählt, eine, die abseits der medialen Bilder der Flüchtlingskrise zu finden ist. Es geht nicht um die jungen Männer, die in so großer Zahl nach Europa kamen. Sie fragte Frauen, die sich auf den angstvollen Weg gemacht hatten, in Interviews, was für sie Heimat ist: "Ein Ort, an dem ich leben kann, ein sicherer Ort. Deutschland ist schön und sauber. Wir sind hier sicher. Aleppo habe ich verloren", antworteten sie. Aus den Interviews schuf die Regisseurin eine Collage voller poetischer Szenen wie die klingelnde Teezeremonie, ohne den Inhalt zu versüßen. Sie lädt das Publikum im Schloss vielmehr ein, das Gemeinsame im Fremden zu erkennen.

Wachendorff kann Menschen öffnen, eben weil sie nicht fordert, sondern annimmt. Das hat sie in vielen Inszenierungen bewiesen, in denen sie Frauen und Männer auf die Bühne brachte, die die Experten ihres Lebens sind. Über die traditionelle Musik und Tänze sowie die zum Teil melancholischen Lieder aus den Herkunftsländern gelingt in "Sand und Asphalt" die Annäherung. Die Stärke liegt in den Geschichten, die die Frauen preisgeben wollen. Es sind persönliche Schicksale. "In Syrien war ich die Kurdin, im Irak die Syrerin, und hier bin ich Flüchtling." Ein weiteres Beispiel: "In Nigeria foltert man Frauen. Dort muss eine Frau beschnitten sein. Manche Mädchen sind erst sechs Jahre alt. Wenn ich zurückkehren muss, wird meine Tochter beschnitten."

Die Zuschauer dürfen Fragen stellen, die auf Kärtchen aufgeschrieben sind. Die Antworten sind überraschend: Was ist Deine Lieblingsstatue? "Die Freiheitsstatue." Was bedeutet Armut? "Armut ist wie ein Dieb. Sie zerstört den Menschen." Wovon hast Du geträumt? "Ein Fahrrad war mein Traum. Ich habe erst hier Radfahren gelernt." Was war in Deinem Gepäck? "Kleidung." Was willst Du in fünf Jahren machen? "Ich möchte als Professorin für Architektur an einer deutschen Universität arbeiten." Magdalene Artelt, Schauspielerin am Schlosstheater, übernimmt die Rolle der Mittlerin. Sie übersetzt, wo Übersetzung nötig ist, und ebnet auch den Weg, gemeinsam zu lachen - zum Beispiel über die Klischees, die man sich zusammenbastelt, wenn man sich nicht kennt. Dieses Mal aus Sicht der geflüchteten Frauen: Deutsche Frauen gehen arbeiten, haben keine Kinder, gehen zum oft zum Friseur und sitzen in Cafés. Die beste und allgemeingültige Beschreibung fand Barbara Wachendorff jedoch in den Texten eines Moersers. "Ich bin in eine Zufallszeit hineingeborene Kreatur, ein Zufallsmensch, in einem Zufallsland (...) mit der Sehnsucht nach Wahrheit und der Wirklichkeit als Schicksal." (Hanns Dieter Hüsch).

Weitere Aufführungen sind am 3. November, 19.30 Uhr, am 5. November, 18 Uhr, sowie am 23. und 25. November, im Schloss. Tickets unter 02841 8834110 und im Internet unter www.schlosstheater-moers.de

(RP)
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