Mönchengladbach Gladbachs Juden – über Lodz in den Tod

Mönchengladbach · Vor 70 Jahren, am 27. Oktober 1941, wurden 1003 Juden, darunter viele Gladbacher, von Düsseldorf nach Polen deportiert. Nur 13 von ihnen überlebten. Bisher war wenig über die Ermordeten bekannt. Eine Ausstellung, die vom 3. bis 25. November im Landtag zu sehen ist, soll das ändern.

Die Abrahams sind sehr bekannt in Gladbach und Rheydt. So bekannt, dass nur der älteste der sechs Brüder, Adolph, mit "Herr Abraham" angeredet wird, während seine Brüder nicht nur scherzhaft "Herr Anders" (Julius), "Herr Ebenso" (Max), "Herr Nochso" (Leo), "Herr Dito" (Willy) und "Herr Schluß" (Heinrich) genannt werden.

Um die Jahrhundertwende ist die Händlerfamilie an den Niederrhein gezogen, seit 1927 ist Max Geschäftsführer der Rheydter Filiale der Warenhauskette Leonhard Tietz. Als diese 1934 zur Kaufhof AG arisiert wird, beginnt der Anfang vom Ende. 25 000 Reichsmark an "Judenvermögensabgabe" muss Max Abraham 1938 entrichten, er wird zur Zwangsarbeit herangezogen.

Am 27. Oktober 1941 wird Max Abraham mit seiner Ehefrau Anna über Düsseldorf deportiert, ins Ghetto von Lodz. An diesem Tag fallen auch seine letzten Vermögenswerte an das Deutsche Reich. In den Massenunterkünften im Ghetto ist die Lage so prekär, dass die Bewohner die Außenwelt um finanzielle Unterstützung für den Kauf von Lebensmitteln anflehen müssen.

In einer beschlagnahmten Postkarte vom 5. Dezember 1941, die er in seine Gladbacher Heimat schreibt, findet Max Abraham dennoch Zeit für warme Worte. "Daß wir viel an Euch denken, brauche ich wohl nicht zu versichern, u. wir hoffen sehr, daß Ihr gesund u. so weit wie möglich zufrieden seid.

Was macht Helmut, ist er beschäftigt? Kann er noch mit Irmchen zusammen sein? Und Du Willy, bügelst Du noch?", schreibt er seinem Bruder. Es ist das letzte Schriftstück, das Max Abraham hinterlässt. Am 14. Mai 1942 wird er mit seiner Ehefrau aus dem Ghetto "ausgesiedelt" und am nächsten Tag im Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) ermordet.

Die Abrahams gehörten zu den insgesamt 3014 Juden, die am 22. und 30. Oktober 1941 über Köln und am 27. Oktober über Düsseldorf ins Ghetto von Lodz deportiert wurden — es war die erste systematische Welle dieser Art aus dem Rheinland. Viele von ihnen stammten aus Gladbach, Rheydt, Korschenbroich und Jüchen.

Die meisten dieser Menschen kehrten nie zurück: Von den 1003 Deportierten, die am 27. Oktober 1941 wie Max und Anna Abraham am Düsseldorfer Schlachthof in ungeheizte Personenwagen dritter Klasse gepfercht wurden und bis Polen kaum Wasser erhielten, sollten nur 13 den Zweiten Weltkrieg überleben.

Über das Schicksal dieser Menschen war bisher wenig bis gar nichts bekannt. Selbst unter Forschern sei die Meinung verbreitet, die aus dem Westen deportierten Juden seien direkt in den Tod gefahren, berichtete jetzt, zum 70. Jahrestag des ersten Lodz-Transports aus Düsseldorf, Hildegard Jakobs, Historikerin in der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte.

Eine Einschätzung, die keinen Bestand hat, wie Überlebende berichten und Dokumente belegen. Noch 1944 sind aus Litzmannstadt, wie die Nazis das polnische Lodz nach einem frühen Parteigänger genannt hatten, Briefe verschickt worden.

Eine Ausstellung in der Bürgerhalle des Landtags in Düsseldorf vom 3. bis 26. November gibt den Deportierten und zum Großteil Ermordeten nun zumindest einen Teil ihrer geraubten Geschichte zurück. Der neuen Wanderausstellung liegt eine immense Forschungsarbeit zugrunde. Acht Jahre lang hat die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte in Lodz Akten gesichtet (siehe Zweitstück), wertete Aufzeichnungen von Stadtarchiven, Landesarchiven, Internetdatenbanken und internationalen Forschungsstätten aus.

Am Ende stand eine bundesweit einzigartige Sammlung von 1003 vormals zerschlagenen und nun wieder zusammengefügten Biografien auf 800 Seiten. Während die Düsseldorfer Juden, auf die die Forscher in den Lodzer Akten stießen, schnell mit den Daten der heimischen Mahn- und Gedenkstätte abgeglichen werden konnten, musste für die Deportierten aus Städten wie Mönchengladbach reine Pionierarbeit geleistet werden: Es gab in der Vitusstadt keinen vergleichbaren Fundus.

Insofern sind die Ausstellung und die begleitenden Bücher und CD-Roms auch eine Reise in die Gladbacher Vergangenheit. Die Besucher lernen Siegfried Klein kennen, Sohn eines Textilfabrikanten aus Rheydt und Rabbiner der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Dem Transport nach Lodz schloss er sich freiwillig an, um seine Gemeinde weiter betreuen zu können — Klein starb in Auschwitz.

Sie begegnen Möbelhändler Manfred Bing, der im "Judenhaus" am Kaiserplatz 15 wohnte und im Ghetto noch lange seine Kriegsrente mit Offizierszuschuss erhielt, bis er im September 1942 getötet wurde. Aber sie sehen auch Lichtblicke. Etwa in Form der Geschichte von Flora Herzberger, die das Lodzer Ghetto, die Deportation nach Auschwitz und das KZ Groß-Rosen überlebte — und nach dem Krieg nach Mönchengladbach heimkehrte, bevor sie samt Tochter nach New York auswanderte.

(RP)
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