Abschleppdienst in Mönchengladbach Zwischen Abschleppdienst und Seelsorge

Mönchengladbach · Die Firma Bröker arbeitet unter anderem für den ADAC in Mönchengladbach. Die Mitarbeiter kommen immer dann zum Einsatz, wenn Abschlepparbeiten erforderlich sind. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.

 Die Stadtkasse Mönchengladbach hat Oliver Buhr zur Sicherstellung eines blauen Peugeots gerufen. Schnellstmöglich muss das gepfändete Fahrzeug von dem 38-Jährigen verladen werden.

Die Stadtkasse Mönchengladbach hat Oliver Buhr zur Sicherstellung eines blauen Peugeots gerufen. Schnellstmöglich muss das gepfändete Fahrzeug von dem 38-Jährigen verladen werden.

Foto: Sebastian Esch

An seinen ersten schlimmen Einsatz erinnert sich Oliver Buhr noch immer. Er zieht an seiner Zigarette, bläst den Rauch aus dem Fenster des Schleppers. „Das war auf der A61“, beginnt er, mit einem merklichen Kloß im Hals. Er sagt selbst, dass er bis heute noch an dem Unfall zu knabbern hat. „Eigentlich war es nur ein einfacher Auffahrunfall, eine Lappalie. Aber hinten im Auto saß ein junges Kind“, sagt der 38-Jährige. Zeitgleich mit seinem Eintreffen kam auch der Bestatter. „Der hatte einen wirklich kleinen Sarg dabei. Da wird einem wirklich anders, das vergisst man nie“, so Buhr. Das Kind erlitt einen Genickbruch. „Man darf sowas einfach nicht mit nach Hause nehmen, das habe ich anfangs gemacht. Heute bin ich erfahrener.“

Mit solchen Situationen müssen sich die Fahrer arrangieren. Die Unfallrate sei sehr unterschiedlich. Mal komme man zwei Wochen ohne aus, dann gibt es schonmal drei an einem Tag. „Ich muss das nicht jeden Tag haben, das zeigt mir immer, wie schnell sich ein Leben in wenigen Momenten um 180 Grad drehen kann.“ Um das zu verarbeiten machen die meisten Schlepper das gleiche. „Ein paar Sprüche hier, ein Scherzchen da. Man darf das nicht an sich rankommen lassen. Dann wird man wieder“, sagt Buhr.

 Bei jedem seiner Einsätze muss Oliver Buhr Fotos zur Dokumentation machen – sie dienen auch zu seiner eigenen Sicherheit.

Bei jedem seiner Einsätze muss Oliver Buhr Fotos zur Dokumentation machen – sie dienen auch zu seiner eigenen Sicherheit.

Foto: Sebastian Esch

Der Abschleppdienst Bröker hat seinen Hauptsitz in Viersen, schleppt aber vor allem in Mönchengladbach, Neuss und Duisburg ab. „Wir sind quasi ein Sub-Unternehmen und bekommen die Aufträge vom ADAC. Zu 90 Prozent sind es Schleppaufträge“, erklärt Marc Bergmann. Er ist an diesem Tag Disponent in der Frühschicht und koordiniert die eingehenden Aufträge. Diese können auch von der Polizei oder dem Ordnungsamt kommen, beispielsweise bei schweren Unfällen oder Falschparkern. „Der meistgehörte Satz bei uns ist: , Das kann ich jetzt gerade aber gar nicht gebrauchen’“, sagt Bergmann und schmunzelt.

 Über diese Hebel wird das Schiebeplateau bedient.

Über diese Hebel wird das Schiebeplateau bedient.

Foto: Sebastian Esch

Bevor die Schicht um 6 Uhr allerdings startet, nehmen sich Buhr und die anderen Mitarbeiter einen kleinen Moment und setzen sich hinter dem Gebäude zusammen. Dort ist es zu der Zeit sehr still, der Wind weht den Geruch vom Zigarettenqualm bis ins Büro hinein. Es hat fast etwas von einem gemütlichen Feierabend beisammen sein, wie die Männer hier zusammen sitzen.

Plötzlich ein klingelndes Geräusch. Die grüne Leuchte, die über der Zentrale hängt, färbt sich rot. „Jetzt bekommt ihr was zu tun“, sagt Bergmann. Buhr nimmt noch einen Zug von seiner Zigarette, schnappt sich sein Werkzeug, bläst den Rauch aus und geht zum Schlepper. Der erste Auftrag des Tages ist ein „Standard-Schleppereinsatz“. Ein Mann im mittleren Alter hat in Mönchengladbach falsch getankt. Nämlich Benzin in sein Dieselfahrzeug. „Ich komme gerade aus dem Urlaub und habe nicht den üblichen Wagen genommen“, sagt er. Oliver Buhr macht sich ans Werk. Er drückt an den Hebeln des Schiebeplateaus, lässt dieses langsam runter, sodass es wie eine Rampe zum Stehen kommt. Gemeinsam mit dem Falschtanker schiebt er den Wagen davor in Position. Nun montiert der 38-Jährige ein Schleppseil unter dem Wagen und zieht diesen per Knopfdruck langsam auf die Bühne. Dabei unterbricht er den Vorgang gelegentlich, richtet die Räder aus. Im Anschluss werden die Räder mit Gurten fixiert und die Bühne wieder hochgefahren – fertig. Nun kann es in die Werkstatt gehen.

 Am Auto wird ein Seil festgespannt, damit es langsam auf das Schiebeplateau gezogen werden kann. Denn oft können die Fahrzeuge von alleine nicht mehr bewegt werden.

Am Auto wird ein Seil festgespannt, damit es langsam auf das Schiebeplateau gezogen werden kann. Denn oft können die Fahrzeuge von alleine nicht mehr bewegt werden.

Foto: Sebastian Esch

Von außen betrachtet ist der Job eines Schleppers nichts besonderes, fast schon banal. „In Wirklichkeit geht der Job aber weit darüber hinaus“, betont Marc Bergmann. „Man könnte sagen, sie sind eine Mischung aus Mechaniker, Kaufmann, Kraftfahrer und – ganz wichtig – Seelsorger und Psychologen“, erklärt er. Technisches Verständnis sei hilfreich, da die Mitarbeiter, so zumindest in wenigen Fällen, ein Abschleppen vermeiden könnten. Und auch mit Rechnungen müssen sich die Fahrer auskennen. „Wenn mal ein Kunde von einer anderen Versicherung als dem ADAC uns anfragt, muss vor Ort bezahlt werden“, erklärt Bergmann. „Deshalb müssen sie je nachdem, was sie am Wagen machen, in der Lage sein, die Kosten zu errechnen.“ Und bei vielen tausend Kilometern Fahrt pro Jahr erklärt sich auch der Kraftfahreranteil. „Der psychologische Part ist aber der Wichtigste“, weiß Oliver Buhr. Es komme nicht selten vor, dass die Kunden im Schlepper ein paar Tränen vergießen. „Das ist ja auch normal. Erstmal ist es oft eine teure Angelegenheit, und für viele Menschen ist das Auto schon fast ein Heiligtum. Bei Männer sogar wichtiger als die Frau“, sagt er und lacht.

Der Falschtanker macht allerdings einen gefassten Eindruck. Trotzdem lässt Buhr keine Ruhe während der Fahrt entstehen. „Sowas passiert im Leben jedem Mal“, sagt er dem Kunden. Während der paar Sätze zeigt sich seine Erfahrung. Immer wieder dreht er kurz den Kopf, sucht Augenkontakt zum Mann und muntert ihn auf. „Die Tankstellen haben inzwischen aber auch immer mehr Schläuche, da kommt man gerne mal durcheinander“, beruhigt Buhr. In der Werkstatt angekommen wird der Wagen abgeladen. Der Mann bedankt sich nett bei dem 38-Jährigen.

 Die Reifen werden mit Gurten gesichert.

Die Reifen werden mit Gurten gesichert.

Foto: Sebastian Esch

„Das ist nicht immer so“, sagt der Fahrer. Auch Ärger, Beschimpfungen und ganz selten sogar Bedrohungen gehören mit zum Job. „Das ist aber eher bei Fahrten für Behörden der Fall.“ Beispielsweise, wenn das Ordnungsamt anruft. „Keiner lässt sich gerne abschleppen, ist ja logisch. Da kann es dann schon einmal zur Sache gehen“, so der 38-Jährige. Man müsse einfach ruhig bleiben, das übertrage sich auf den wütenden „Kunden“, wenn dieser merke, dass er mit seinen Provokationen nicht weit komme. „Außerdem bin ich in so einem Fall selten alleine, weil immer ein Mann von der Behörde dabei ist.“ Auch wenn er während des Abschleppens den Vekehr blockiere, komme es schon einmal zu Anfeindungen. „Die meisten haben aber Verständnis dafür, das ist ja quasi wie bei der Müllabfuhr.“

Bevor der 38-Jährige wieder in den Schlepper steigt, greift er nach seiner Zigarettenpackung. Zwischen den Einsätzen können die Fahrer selbst ihre Pausen einteilen. „Deshalb mache ich diesen Job so gerne, man ist zum Teil sein eigener Chef.“ Doch es soll nicht sein: Schon klingelt es wieder. Der nächste Einsatz leuchtet auf seinem Tablet auf. „Auto SNA“ steht in der Einsatzbeschreibung. „Springt nicht an, bedeutet das“, erklärt er. Es handelt sich um einen BMW eines älteren Pärchens. Beim Eintreffen von Oliver Buhr werkelt der Ehemann bereits eigenständig am Wagen herum – ohne Erfolg. „Das machen leider viele, oft geht dadurch nur noch mehr kaputt“, weiß der Abschleppfahrer. Der Anlasser für die Batterie sei gestört, vermutet Buhr und lädt den BMW auf.

So reiht sich Auftrag an Auftrag, bis plötzlich kurz vor einem einfachen Schleppeinsatz sein Handy klingelt. Der Disponent ist am Apparat – ein gepfändetes Auto soll schnellstmöglich einkassiert werden, auch die Stadtkasse sei vor Ort. „Behördenaufträge haben immer Priorität, da muss es manchmal schnell gehen“, erklärt der Fahrer. Das besagte Fahrzeug ist ein blauer Peugeot, mehrere gelb leuchtende Warnschilder weisen darauf hin, dass der Wagen nicht mehr bewegt werden darf. „Der Mann war gerade schon hier und hat Palaver gemacht“, erklärt der Beamte der Stadtkasse Buhr. „Angeblich habe er auch den Schlüssel nicht.“ Zum Glück für den Schlepper ist der Wagen überraschenderweise offen und deshalb bewegbar. „Das ist wie ein 6er im Lotto, sonst müsste man hier andere Abschleppmethoden auffahren.“ Schnell ein paar Fotos vom „Tatort“ zur eigenen Versicherung und schon wird auch dieser Wagen aufgeladen und in die Verwahrung bei der Stadtkasse gegeben. Deren Parkplatz ist bereits gut gefüllt mit gepfändeten Wagen. Ein typischer weiß-grüner Eiswagen fällt dabei auf. „Vermutlich Steuerschulden“, tut der 38-Jährige den Anblick ab.

Für Oliver Buhr endet damit die  Schicht an diesem Tag. „Es war wirklich ruhig.“ Heute gab es keinen schweren Unfall, kein Ereignis, dass nachhaltig belasten könnte. „Aber das kann sich in wenigen Stunden ändern. Es reichen ein paar Regentropfen und schon erhöht sich die Unfallrate deutlich“, weiß der 38-Jährige. Bevor er in die Zentrale geht und sich bei der Disposition abmeldet, greift er nochmal in seine Jackentasche. Eine rot-weiße Schachtel kommt zum Vorschein. Buhr zündet sich eine Zigarette an, bläst den Rauch in den Wind und fachsimpelt mit den Kollegen schon über das kommende  Spiel der deutschen Nationalmannschaft.

(se)
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