Krefeld Ein Tag mit der Prinzengarde

Krefeld · Vier Wochen lang täglich vier bis sechs Termine: Was geschieht dabei außer Routine? Eine Spurensuche.

Ein Tag mit der Prinzengarde
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Ein Tag mit der Prinzengarde

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Nehmen wir an, ein Außerirdischer würde einen Tag lang mit dem Prinzenpaar von Termin zu Termin eilen - was würde er verstehen? Äußerlich rappelt die Karnevalsmaschinerie: Busfahrt, Ankunft, Einzug, Helau, Ansprache Prinz, Helau, Ansprache Prinzessin, Helau, Lied Prinzessin, Helau, Auszug, Busfahrt. Vermutlich würde unser Alien verdattert an seinen Planeten funken: "Menschen simple biochemische Apparaturen - stopp - viele Programmfehler - stopp - sie nennen es jeck - stopp - Eroberung abblasen, Versklavung sinnlos."

Was Außerirdische nicht verstehen würden: Diese Momente im Kinderheim Marianum, wenn sich Gardisten und Kinder in einer Polonaise vereinen. Wenn wir Erwachsene ahnen: Diese Kinder haben manches schwere Päckchen zu tragen. Wenn wir sehen, wie ein kleiner Ritter andächtig sein Plastikschwert auf eine Anrichte legt und dann genauso andächtig ein Stück Schokolade verputzt. Und wie man hofft, dass es Erinnerungen wie diese sind, die Kinderseelen stark machen fürs Leben.

Karneval in Krefeld-Uerdingen 2019: So war die Party an Altweiber 2019 im Festzelt
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Altweiber-Party im Festzelt in Krefeld-Uerdingen

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Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Das Prinzenpaar hat viereinhalb Wochen vor Rosenmontag ein Riesenprogramm - täglich vier, fünf, sechs Termine: Karnevalssitzungen, Alten- und Kinderheime, Krankenhäuser, Vereine, Gemeinden. Prinz sein ist auch eine Ochsentour. Warum diese Rastlosigkeit?

Abfahrt 13.30 Uhr ab Seidenweberhaus zu einer solchen Tour: ein kleiner Bus, an Bord 30 Mann: Prinz Heribert II. (Boosen) und Christina I. (Schwirtz-Lindner) nebst Garde-Gefolge. Der Nachmittag gehört zu den dichtesten der Session: Sechs Termine liegen vor der Truppe. Im Bus: Gelöste Gelassenheit. Die Männer kennen sich seit Jahren, kennen die Abläufe.

Ankunft 13.49 Uhr: Erste Station - Haus Ursula, Klinik Königshof

Dort werden psychisch Erkrankte behandelt; für manche ist die Klinik Heimat: Sie leben dort seit Jahrzehnten. Prinz Heribert spricht im Bus mit Wärme von dem Haus und mit Hochachtung von denen, die dort arbeiten. Später beim Einzug macht sich leise Beklemmung breit: Der Saal ist karnevalistisch geschmückt; viele Gesichter erzählen von Freude und Anteilnahme; viele bleiben aber auch starr und unergründlich. Eine ältere Dame schaut, als nahe ein Unglück, und doch singt sie leise ein Lied mit; ein Mann blickt unbewegt auf den Tisch, isst und trinkt. Was von all dem Karnevalslärm in sein Inneres dringt - man weiß es nicht.

Die Karnevalisten ziehen ihr Programm durch; der Saal geht mit, und erstmals an diesem Nachmittag beginnt das Motto des Prinzenpaares zu leuchten: All' onger een Kapp. Der Karneval, dem oft vorgeworfen wird, dass er sich zu wichtig nimmt, nimmt hier andere wichtig: Leute, die psychisch Kranken helfen. Und die Kranken, versteht sich.

Auszug 14.27 Uhr, Abfahrt Richtung Altenheim Wilmendyk; Ankunft 14.48 Uhr.

Im Bus bekennt Prinzenführer Karl Müller, dass die Begegnung mit psychisch Kranken bedrückend sei. Stimmt, so geht es wohl jedem, der das nicht gewohnt ist. "Auf die Normalität des Alterns ist man eingestellt", sagt er auch. Im Festsaal des Wilmendyk-Altenheims wartet sie: die Normalität des Alterns, freilich in karnevalistischer Ausnahmestimmung. Das Prinzenpaar knipst das Thema Alter weg: "Ganz prima seht ihr aus, Mädels und Jungs", ruft der Prinz, "Helau Mädels, alles gut?", sekundiert die Prinzessin. Als sie dann ihr Lied singt - der Brings-Hit "Kölsche Jung" mit neuem Text - wippt der ganze Saal. Ein Karnevalswunder: Es gibt in diesen Sekunden nur Männer, Frauen und Jecken - alle gleich jung. Auszug 15.05 Uhr.

Ankunft 15.18 Uhr Kinderheim Marianum

Die Fete läuft; längst steht ein Pferd auf dem Flur, als Prinz Karneval kommt. Heimleiter Heinz-Werner Knoop ist eine Rampensau vor dem Herrn und wirkt als Moderator wie ein Versprechen, dass alles gut wird: "So, der Prinz spricht jetzt huldvoll zu euch", sagt er augenzwinkernd und nennt den Zug der Gardisten hinterm Prinzenpaar den Rattenschwanz, der noch folgt. Der Prinzessin glückt ein schöner Satz: "Welche Prinzessin?", fragt sie, als der Prinz sie ankündigt, "wir haben hier viele" - Anspielung auf all die Mädchen im Prinzessinnenkostüm. Der Auftritt des Prinzenpaars ist voller Wärme - und zeitigt ein weiteres Karnevalswunder: die Entritualisierung des Rituals. Der "Auftritt" verliert sich, Prinzenpaar und Garden driften in den Saal, groß und klein vereinen sich zur "Polonäse Blankenese" - die Welt wird zum Kindergeburtstag. Zuvor hatte der Prinz wieder gedankt: "Dank an alle, die euch unterstützen und hilfreich zur Seite stehen!" Da ist es noch einmal, dieses "All' onger een Kapp"-Gefühl: Der Karneval, dem oft vorgeworfen wird, dass er sich zu wichtig nimmt, nimmt andere wichtig: Leute, die Kindern helfen. Und die Kinder, versteht sich.

So geht es weiter: St. Josef Seniorensitzung, Familienhilfe Seniorensitzung, Kursana Seniorensitzung. Die Rastlosigkeit gewinnt immer dann Wärme und Sinn, wenn aufblitzt: Prinz Karneval ist kein selbstverliebter Vereinsmeier, sondern einer, der auf der Bühne zum Spiegel wird: Schaut her, wir sind's - wir alle!

So lange der Karneval solche Momente stiftet, wird er leben.

(RP)
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