Spiritueller Zwischenruf Wenn Zahlen zur Mitmenschlichkeit helfen

Zahlen sind wichtig – und sie können auch konkrete Auswirkungen auf das Leben haben, meint Bruno Robeck, Prior der Langwadener Zisterziensermönche.

 Bruno Robeck, Prior der Langwadener Zisterzienser.

Bruno Robeck, Prior der Langwadener Zisterzienser.

Foto: Melanie Zanin

Seit 20 Jahren kann man sich zur besten Fernsehsendezeit am Abend über die aktuelle Börsenentwicklung informieren. Zwischen dem Wetterbericht und der Tagesschau strahlt das Erste „Die Börse vor acht“ aus. Interessiert wirklich so viele Menschen die Aktienentwicklung der großen Konzerne oder soll das Interesse daran geweckt werden? Einen direkten Bezug zur Weltwirtschaft haben doch die wenigsten von uns. Außerdem sind die Zahlenreihen und Aktienkurse für die meisten zu abstrakt.

Mein Verhältnis zu Zahleninformationen hat sich seit ungefähr einem halben Jahr grundlegend geändert. Dabei interessieren mich jedoch nicht die Geschäftsentwicklungen, sondern die Ausbreitung des Coronavirus. Ich schaue nicht zu den opulenten Bronzeskulpturen von Bulle und Bär auf dem Frankfurter Börsenplatz, sondern zur schlichten Fassade des Robert-Koch-Instituts in preussischer Backsteingotik aus dem Berlin des späten 19. Jahrhunderts. Zahlen sind nicht zwangsläufig eine abstrakte Sache. Sie können konkrete Auswirkung auf das Leben haben. Diesen Zusammenhang erleben wir fast nie untermittelbar bei den Börsenzahlen, obwohl es ihn auch dort gibt. Dieser Zusammenhang bestimmt viele Bereiche unseres Lebens. Ob die Brücken halten, über die wir fahren, oder ob das Brot gut wird, das wir backen, hängt von der richtigen Berechnung ab. Jetzt erzählen die Zahlen von der Ausbreitung des Virus. Wir sehen, wie Zahlen steigen und sinken. Die Zahlen verraten uns jedoch nichts über die Einzelschicksale der infinzierten Menschen. Und es bleibt auch unklar, was es bedeutet, wenn von den über 1,6 Millionen genesenen Corona-Patienten gesprochen wird: ob sie wieder ganz gesund sind oder ob sie mit Folgeschäden weiterleben müssen.

Zahlen sind nicht alles, aber sie sind keinesfalls zu unterschätzen. Zahlen, die Menschen erfassen, helfen uns zur Mitmenschlichkeit, wenn man hinter jeder Zahl einen Menschen mit seiner persönlichen Lebensgeschichte sieht. Erschütternd sind die vielen Menschen, die im Zusammenhang mit Corona gestorben sind: Deutschlandweit waren es am Freitag mit 44.982 Toten fast Zweidrittel der Gesamteinwohnerzahl von Grevenbroich. Ihrer sollten wir besonders gedenken.

Ich lese jeden Tag aufmerksam die Coronazahlen aus der Umgebung, weil hinter jeder Zahl ein Mensch steht und weil ich durch mein Verhalten zum Sinken der Ansteckungszahlen in meinem Umfeld beitragen kann. Ich wünschte mir, dass wir auch mit Zahlen versorgt werden, die viele Menschen betreffen und die auch jeden betroffen machen sollten, zum Beispiel: Wie entwickeln sich die Flüchtlingszahlen weltweit?

Wie viele Menschen müssen in ungerechten politischen Systemen leben? Eine Zahl, die mir nicht aus dem Kopf geht und die sich unbedingt ändern muss: Laut Unicef stirbt alle zehn Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an Hunger.

Solche täglichen Zahlen sind wichtig, damit wir immer wieder aufgerüttelt werden und damit die Hilfsbedürftigen mit uns rechnen können.

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