Verborgene Winkel einer Kirche Expedition unter das Dach des Erftdoms

Gustorf · Lange Stege führen unter dem Dach über das Gewölbe von St. Maria Himmelfahrt. Tonnenweise Holz wurde dort im 19. Jahrhundert verarbeitet. Schon ein Kurzschluss könnte verheerende Folgen haben.

Grevenbroich: Eine Expedition unter das Dach des Erftdoms in Grevenbroich
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Eine Expedition unter das Dach des Erftdoms in Grevenbroich

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Foto: Wiljo Piel

Wer oben ankommt, ist nicht nur außer Puste. Er hat auch einen leichten Drehwurm. Denn immerhin 86 steinerne Stufen führen über eine enge Wendeltreppe in den Turm von St. Maria Himmelfahrt. Konrad Sturm nimmt diesen Weg regelmäßig – mit Besuchern geht er allerdings so gut wie nie unter das Dach des imposanten Gotteshauses. „Das ist mir zu riskant“, sagt das 77 Jahre alte Mitglied des Ortsausschusses. „Dort oben ist alles knochentrocken, da lass’ ich niemanden rein.“ Heute hat der ehemalige Gindorfer Schützenoberst aber mal eine Ausnahme gemacht.

Es war 1883, als der Heimatforscher Heinrich Hubert Giersberg einen Satz formulierte, auf den viele Gustorfer und Gindorfer heute noch stolz sind: St. Maria Himmelfahrt sei die größte und schönste Kirche am Niederrhein, sie sei der Dom an der Erft, schwärmte der historisch interessierte Geistliche seinerzeit. Seitdem hat das 1876 geweihte Gotteshaus seinen Namen weg. Dass es zu Recht „Erftdom“ heißt, wird auch unter dem Dach deutlich.

In etwa 40 Metern Höhe führt eine stets gut verschlossene Stahltür in eine eigene Welt, die oberhalb des prunkvoll ausgestatteten Chorraumes liegt. Es riecht nach Buche, Tanne und Eiche, die im 19. Jahrhundert tonnenweise für den Dachstuhl verarbeitet wurden. Lange Holzstege schlängeln sich wie schmale Brücken über die wuchtigen Rundungen des Vierungsgewölbes, die liegen frei und sehen wie große steinerne Blasen aus. Jedes Jahr in der Weihnachtszeit traut sich Konrad Sturm auf eine dieser Wölbungen, um dort den großen Herrnhuter Stern zu befestigen, der dann an einem langen Seil über der Apsis hängt und für eine festliche Atmosphäre sorgt. „Obwohl ich das schon seit vielen Jahren mache, ist es immer wieder ein komisches Gefühl, auf dem bisschen Stein über dem hohen Kirchenraum zu liegen“, beschreibt der 77-Jährige.

Sturm steigt regelmäßig die steile Wendeltreppe hinauf, um seinen Blick auf das Gebälk zu richten, um nachzuschauen, ob es irgendwo rein geregnet hat. „Wird es feucht, könnte sich hier schnell der Schwamm breit machen – das wollen wir verhindern“, sagt er. Anfang der 1980er Jahre wurde der Dachstuhl zuletzt renoviert, voraussichtlich 2020 steht die nächste Instandsetzung an. Das gilt übrigens nicht nur für das Dach, sondern für das gesamte Gebäude, dessen Grundriss an ein Kreuz erinnert. Im Vorfeld der Grundrenovierung wurde St. Maria Himmelfahrt bereits im vergangenen Jahr mit einer Drohne von innen und außen komplett neu vermessen. Das wurde notwendig, da die Original-Zeichnungen des Gotteshauses verloren gegangen sind.

Das Dachgebälk ist augenscheinlich aber noch weitgehend in Ordnung. Ebenso die Holzstege, die sich über viele Meter erstrecken und an manchen Stellen abzweigen. Sie führen zu kleinsten Fenstern mit Gittermustern, die nach dem Öffnen einen weiten Blick über Gustorf und Gindorf gewähren. Sie sind aber nicht dafür da, um die Aussicht zu genießen, sondern um Handwerkern einen leichteren Zugang zum Dach zu ermöglichen.

Ein wichtiges Ritual: Jedes Mal, bevor Konrad Sturm die Stahltür wieder von außen zuschließt, setzt er den Dachstuhl per Knopfdruck stromlos. „Das ist notwendig“, sagt er. „Sollte es zu einem Kurzschluss kommen, könnte das ein verheerendes Feuer auslösen.“ Der Erftdom sei da gegenüber dem Kölner Dom deutlich im Nachteil, „denn der hat einen Dachstuhl aus Stahl“.

Zwischen Wendeltreppe und Stahltür birgt die Kirche übrigens noch ein echtes Schätzchen, das den Blicken der Allgemeinheit verborgen bleibt: Ein mehr als 100 Jahre altes mechanisches Uhrwerk, das früher die vier Kirchturmuhren in Gang hielt, bevor sie mit einer modernen Funksteuerung ausgestattet wurden. Die Konstruktion mit ihren großen, goldfarbenen Zahnrädern habe schon so manchen Experten begeistert, schildert Konrad Sturm. „Einige fragen sogar nach, ob sie es haben könnten – doch das geben wir nicht her.“

 Konrad Sturm auf dem Dachstuhl von St. Maria Himmelfahrt. Lange Holzstege verlaufen über dem Gewölbe des imposanten Gotteshauses.  Fotos (6): wilp

Konrad Sturm auf dem Dachstuhl von St. Maria Himmelfahrt. Lange Holzstege verlaufen über dem Gewölbe des imposanten Gotteshauses. Fotos (6): wilp

Foto: Wiljo Piel
 Stillleben unterm Dach: Wer den Stuhl dorthin brachte und wofür er gut ist, weiß niemand mehr.

Stillleben unterm Dach: Wer den Stuhl dorthin brachte und wofür er gut ist, weiß niemand mehr.

Foto: Wiljo Piel
 Die Fenster im Dachstuhl bieten einen weiten Blick über Gustorf und Gindorf.

Die Fenster im Dachstuhl bieten einen weiten Blick über Gustorf und Gindorf.

Foto: Wiljo Piel
 Ein echtes technisches Schätzchen: das mehr als 100 Jahre Uhrwerk, das längst außer Betrieb ist.

Ein echtes technisches Schätzchen: das mehr als 100 Jahre Uhrwerk, das längst außer Betrieb ist.

Foto: Wiljo Piel
 Insgesamt 86 steinerne Stufen führen zum Dachstuhl des 1876 geweihten Gotteshauses.

Insgesamt 86 steinerne Stufen führen zum Dachstuhl des 1876 geweihten Gotteshauses.

Foto: Wiljo Piel
 Das große Fenster im 75 Meter hohen Glockenturm des Erftdoms.

Das große Fenster im 75 Meter hohen Glockenturm des Erftdoms.

Foto: Wiljo Piel

Aber nicht nur im Turm, sondern in der gesamten Kirche gibt es etliche sakrale Schätze zu entdecken – etwa eine Madonna aus Holz, die aus den Anfängen des 15. Jahrhunderts stammt. Konrad Sturm erläutert diese bei bis zu 30 Führungen, die er im Jahresverlauf anbietet, ausführlich und gespickt mit vielen Anekdoten. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

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