Goch Kein Job wie jeder andere

Goch · Ein Tag im Wohnverbund für Behinderte: Julian Haag aus Goch, Achtklässler an der Leni-Valk-Realschule, entschied sich für Begegnungen, wie man sie sonst selten hat. Spannende Einblicke in ganz normales Leben.

Ja, er würde es wieder machen. Ja, es war ganz schön spannend. Julian Haag (14) besucht normalerweise die Leni-Valk-Realschule in Goch, geht dort in die achte Klasse. Aber einen "Boys Day" lang tauschte er das vertraute Klassenzimmer gegen den Wohnverbund des HPH-Netzes Niederrhein an der Gerd-Horseling-Straße. Dort leben Menschen mit leichten bis schweren geistigen Behinderungen. Menschen, die anders sind, oft ganz anders als die, die Julian täglich umgeben. Reinschnuppern (mehr geht an einem Tag ja nicht) in die Arbeit einer Behinderteneinrichtung, die keine "Einrichtung" ist, sondern ein Zuhause für die Menschen – das brachte ihm, wie er im Gespräch mit der RP erzählte, ganz ungewohnte, ganz neue Erlebnisse.

Berührungsängste abbauen

Menschen, die auf ihn als bis dato völlig Fremden zugehen, viel "enger" , als Julian das so im Alltag gewohnt ist, die sich ganz anders verhalten als erwartet: Das muss man erst einmal lernen, Berührungsängste abzubauen. Wie er mit den Menschen umgegangen sei? Ja, Offenheit sei wichtig, erzählt er.

Wie sieht der Alltag der acht Bewohner des HPZ (beim Landschaftsverband heißen sie Kunden) aus? Wer bekommt wie viel Hilfe? Was gehört alles zum Tagesablauf dazu? Julian erfährt, dass dazu beispielsweise eben auch die Körperpflege zählt, wenn jemand sie nicht eigenständig erledigen kann. Dass dazu auch gehört, nicht nur gemeinsam zu essen, sondern vielleicht auch das Brot in kleine Stücke zu schneiden, sorgsam darauf zu achten, wer was essen darf und wer nicht.

Dass es eine fordernde, auch eine schwere Arbeit ist, die die Menschen hier im Wohnverbund machen, das habe er schnell begriffen, erzählt er. Und dass es eben manchmal auch für die, die dort im Dienste der Behinderten tätig sind, ganz schön "ungewohnt" sein kann: Er erlebte das selbst. "Nein, jemanden mit dem Rollstuhl draußen durch die Öffentlichkeit fahren, das konnte ich nicht", berichtet Julian Haag. Da sträubte sich zu vieles in ihm.

Gitte Timmer und Conny Lagarden, zwei Mitarbeiterinnen des HPH-Netzes, kennen das. Von Praktikanten, von Schülerinnen und Schülern, in der Erinnerung vielleicht sogar noch aus eigener Erfahrung. Sie wissen: Dieser Beruf ist nicht nur sehr schön, er ist auch sehr anspruchsvoll. Und er erfordert ständiges Lernen, immer wieder neues Lernen. Langen Atem braucht er sowieso. Die Menschen nach den Wertvorstellungen des Landschaftsverbandes zu begleiten, zu unterstützen, zu fördern, auf Augenhöhe, mit Respekt und immer wieder unter der Devise "anders, aber ganz normal" – das ist eine Aufgabe, kein Job.

Nachwuchs? Groß ist der Run auf die Ausbildungsplätze in diesen pflegerischen Berufen nicht. Und: "Es gibt ein krasses Missverhältnis bei den Bewerbungen", sagt Yvonne Breuel, Sprecherin des HPH-Netzes Niederrhein. "Die Zahl der Bewerber ist viel, viel kleiner als die der Bewerberinnen." An der Gerd-Horseling-Straße drückt sich das so aus: "Vier der 25 Mitarbeitenden bei uns sind Männer", sagt Conny Lagarden. Eine Schande, eigentlich. Dass sich das langfristig ändert – dazu sollen Aktionen wie der "Boys Day" langfristig etwas beitragen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort