RP-Serie: 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs (Teil 1) Zum Kriegsende fast 500 Kilometer fern der Heimat

Erkelenzer Land · Die Evakuierung von Hetzerath zum Jahreswechsel vor 70 Jahren.

Weihnachten zu Hause - das war, und ist vielleicht immer noch, der Wunsch von Menschen, die, aus egal welchen Gründen, ihr Zuhause zeitweilig oder dauerhaft verlassen haben: Weihnachten als Fest der Familienzusammenführung. Vor 70 Jahren gab es im Land an Rur, Niers und Schwalm praktisch kein Zuhause, der Bodenkrieg hatte die Region erreicht. Die Menschen mussten ihre Städte und Ortschaften verlassen. Evakuierung oder Räumung waren die Stichworte, von Adolf Hitler persönlich angeordnet.

Für Hetzerath hieß das Evakuierungsziel Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, wohin die Bevölkerung mit lediglich Handgepäck per Bahn von Doveren aus transportiert wurde. Für die Festschrift der Interessengemeinschaft Hetzerath zum 75-jährigen Bestehen beschreibt Willy Leuver seine Begrüßung als Kind mit Familie dort durch Einheimische: "Was wollt Ihr denn hier, Ihr Westfranzosen?"

Die Leuvers, Mutter Gertrud mit sechs Kindern, hatten eine normale Wohnung in einem Betrieb zugewiesen bekommen, ein SA-Mann aus der Besitzerfamilie hatte mitbekommen, dass Gertrud Leuver über die Nazis laut geschimpft hatte - sie mussten in eine Baracke ziehen.

Nach Weihnachten 1944 mussten die Hetzerather auch Ostern 1945 im Osten feiern - die Leuven-Kinder, der 18-jährige Josef ging allerdings nicht mit, zogen vorher über die Dörfer und erbettelten Milch, Kartoffeln und Eier. Familie Leuver färbte die Eier und bewahrte sie im Schlafzimmer auf. An Ostern die böse Überraschung: Die Eier waren gestohlen worden! Der Mund-Räuber war schnell ermittelt: Josef und sein Freund Josef Winkens.

Josef Leuver verweigerte auch den Kriegsdienst, selbst heftige Prügel zweier SA-Männer konnten ihn nicht überzeugen. Die Männer der Hetzerather Evakuierten wurden allerdings zum Volkssturm zur Verteidigung Bitterfelds abkommandiert. Die Einnahme des Städtchens durch die Amerikaner konnten sie nicht verhindern, insofern war der Krieg für die Hetzerather gut 500 Kilometer fern der Heimat vorbei.

Nahrungsmittel waren mehr als knapp, die Hetzerather beteiligten sich wie die Evakuierten aus anderen Regionen an Plünderungen, allerdings funktionierte auch die Polizei bereits wieder, die meisten Güter mussten zurückgegeben werden. Eine Nahrungsquelle tat sich für Willy Leuver und seiner Familie am amerikanischen Feldlazarett auf - zu Mittag gab es dort für die Soldaten und die Patienten Essen, das so reichlich bemessen war, dass es auch für die Evakuierten reichte. Sie erhielten dort auch medizinische Versorgung.

Zum 1. Juli 1945 wurden die Besatzungszonen durch die Alliierten eingeteilt - Bitterfeld gehörte in die russische Zone. Die Angst vor den sowjetischen Soldaten erwies sich als unbegründet. Auch von ihnen erhielt Willy Leuver Nahrungsmittel. Für seinen inzwischen eingetroffenen Vater konnte er sogar noch Zigaretten besorgen.

Fast ein Jahr dauerte der Aufenthalt im Osten, die Hetzerather wollten nach Hause, es waren keine guten Nachrichten von dort gekommen. Rund 1000 russischen Zwangsarbeitern, die in schlimmen Zuständen in Lagern um Hetzerath gelebt hatten, war der Ort von den Amerikanern als Sammellager zugewiesen worden. Sie hatten sich in den Häusern einquartiert und offensichtlich, wie der damalige eingesetzte Landrat Jack Schiefer schrieb, schlimme Verhältnisse hinterlassen.

Das Weihnachtsfest 1945 konnten die Hetzerather dann wieder im vom Krieg und dessen Folgen gezeichneten Heimatort feiern.

(Die Serie wird fortgesetzt.)

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